Untere Hauptstraße 1
S’Lammwirts
Am höchsten Punkt von Leimersheim, direkt neben der Kirche, stand früher das Wirtshaus der Familie Joachim – das Gasthaus „Zum Lamm“, ursprünglich „Zum goldenen Lamm“.
Erbaut wurde es Anfang des 19. Jahrhundert an der Stelle des Turmes, der die Pforte der ehemaligen Leimersheimer Burg im Süden der Burgmauer bewachte. Bis heute gibt es auf dem Gelände der Familie Joachim einen Brunnen, der sich früher im Schlosshof befand und mit einer Betonplatte abgedeckt ist.
Das „Lamm“ wurde von Beginn an bis zur Schließung von der Familie Joachim geführt. Die Wurzeln der Joachims liegen im Raum Landau, von wo aus die ersten Wirtsleute des Lamms nach Leimersheim kamen: Franziska Joachim, geb. Rauh (*1785) aus Offenbach und Gottfried Franz Joachim (*1780) aus Arzheim. Nachdem ihr Ehemann in jungen Jahren 1822 verstarb, führte die Witwe Franziska das Gasthaus weiter, bis es 1846 ihr Sohn Franz Gottfried (*1816 in Leimersheim) übernahm und begann das erste Lammwirtsbier zu brauen. Durch seine Frau Magdalena Schultz bestanden verwandtschaftliche Beziehungen zum früheren Bischof von Mainz, Dr. Ludwig Maria Hugo.
Im Laufe der 150-jährigen Geschichte des Gasthauses ging die Konzession jeweils auf einen der Söhne über. Bis 1898 braute August (*1842), der Sohn von Franz Gottfried, ebenfalls das eigene Bier. Der große Bierkeller unterm Lammwirtshof, in dem man den Gerstensaft kühlte, wurde nach Aufgabe der Brauerei fast vollkommen zugeschüttet. Der übrige Teil des Lagerraumes war noch bis 2019 durch den Keller des Wohnhauses zugänglich und bei den Lammwirtskindern und Enkeln als „Grotteloch“ gefürchtet. „Wenn du dej Supp’ nit ischt, dann kimmscht ins Grotteloch!“, die Drohung wirkte, sodass es meist dabei blieb.
Ernst August Joachim (*1886), in Leimersheim und Umgebung als „de Guschtl“ bekannt, war der zweitälteste Sohn des Bierbrauers August und von Juliana Guckert (*1858) aus Lauterburg. Ursprünglich wollte er nicht Wirt werden und erlernte deshalb Anfang der 1900er-Jahre den Kaufmannsberuf in einem Feinkostgeschäft in Straßburg, danach lebte und arbeitete er fünf Jahre lang in Paris bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges. Guschtl sprach fließend Französisch und war bis zu seinem Tod als Feinschmecker bekannt. Seine Vorliebe für Speisen, die damals in der Pfalz noch gänzlich unbekannt waren, wurde von vielen Leimersheimern so kommentiert: „Der isst Sache, die sunscht känner esse dät – Franzos’ halt!“
Am 30. Oktober 1915 wurde Guschtl in Frankreich durch eine Phosphorgranate verwundet und verlor dadurch seinen linken Arm – die breiten Narben, die seinen Oberkörper überzogen, begleiteten ihn bis zu seinem Lebensende. Am Tag seiner Verwundung wurde sein älterer Bruder Richard, der eigentlich das Lamm übernehmen sollte, ein weiteres Todesopfer des 1. Weltkrieges; so wurde später de Guschtl zum Lammwirt.
Nach dem Tod seiner Mutter Juliana Joachim, wegen ihrer elsässischen Herkunft „Schülie“ genannt, übernahm „de Lammwirts Guschtl“ mit seiner Frau Barbara (*1898), „de Bawett“, 1926 die Gastwirtschaft. Darüber hinaus leitete er die Leimersheimer Postagentur. Mit „de Bawett“ erhielt das Lamm eine ausgezeichnete Küchenchefin. Sie hatte zuerst den Beruf der Schneiderin erlernt, und wurde nach 1908 in der erzherzoglichen Kochschule in Karlsruhe zur Köchin ausgebildet. Dazu fuhr sie täglich mit dem Fahrrad ins Badische. Legendär waren „de Bawett ihr Seemannsschnitzel“, die der Renner auf der Speisekarte waren. Im Obergeschoss des Gasthauses war der erste Tanzsaal untergebracht, außerdem die sogenannten Weinstuben, in denen Pärchen und andere Gäste in kleinen gemütlichen Runden ihren Wein genießen konnten.
Frühschoppen, „Kartler-Runden“, Mittagstisch, Übernachtungsgäste und Kegel-Partien in der zur Wirtschaft gehörenden Kegelbahn prägten den Wirtshaus-Alltag, hinzu kamen saisonale Tanzveranstaltungen und Vereinsbälle.
1935 wurde der große Tanzsaal an das Wirtshaus angebaut.
Neben den Tanzveranstaltungen zur Kerwe, Fasenacht und am 1. Mai wurde hier bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges jedes Wochenende die „Tanzdiele“ abgehalten. Hier konnte die Leimersheimer Jugend zu den neuesten Musikschlagern auf Schellackplatten tanzen – quasi ein Vorläufer der heutigen Disko. S'Lammwirts Margot, die jüngste der Joachim-Kinder, erinnert sich noch heute, wie sehr sie sich darüber ärgerte, dass sie damals zu jung war, um Musik aufzulegen; das blieb Emmi vorbehalten, die für das Erfüllen spezieller Musikwünsche so manche Schokolade einheimste.
Während des 2. Weltkrieges waren Tanzvergnügen verboten, so blieben die einzigen Veranstaltungen politische Zusammenkünfte und monatliche Filmvorführungen der NS-Gaufilmstelle Speyer. Wegen seiner Größe wurde der Saal auch für Einquartierungen des Militärs herangezogen. Zunächst waren hier deutsche Soldaten in der Endphase des Krieges untergebracht, nach dem Sieg der Alliierten anfangs die Amerikaner und später die Franzosen.
Die Konzession ging 1950, nach der Rückkehr des Sohnes Ernst aus russischer Kriegsgefangenschaft, erst auf ihn und seine Schwestern Emmi und Margot Joachim, später auf Ernst allein über. Zu dieser Zeit fand an den Sonntagen auch wieder die Tanzdiele statt – sie war nach den langen Kriegsjahren ein voller Erfolg. Nicht nur die Jugend aus Leimersheim tanzte zu moderner Schallplattenmusik; Emmi und Margot können sich heute noch an „unser Herdter und Kuhrder Buwe“ erinnern. Und die Bawett besorgte auf ihren Fahrten nach Karlsruhe immer die neuesten Hits.
Eine weitere Besonderheit war das Kino im Lamm, hierfür kam der Wörther Kinobetreiber Willi Butzinger bis Ende der 60er Jahre ein- bis zweimal wöchentlich mit seinen transportablen Projektoren und zeigte die neuesten Filme. Zusätzlich fanden auch wieder die Vereinsbälle und Tanzveranstaltungen zu Kerwe und Fasenacht statt.
Kaum ein Leimersheimer, der nicht im Lamm getanzt und kaum ein Jugendlicher, der nicht die Tanzstunden besucht und mit dem Tanzkränzchen abgeschlossen hat! Bis 1983 kamen dazu de „Franke Ottel“ aus Rülzheim und später seine Töchter Karin und Annerose von der Tanzschule Frank ins Lamm.
1963 wurde das alte Wirtshaus abgerissen und ein neues Wohnhaus, in dem auch die Poststelle untergebracht war, an gleicher Stelle errichtet – so endete die Ära des Wirtshauses und nur der Saal wurde weiter für Tanzveranstaltungen, für Kartenrunden und das Kino, Musikproben und Turnstunden genutzt. Die Stammgäste aber kamen weiterhin, tranken ihr „Schöppel“ oder ein Bier in der Küche, während die „Bawett“ täglich für ihre Kinder und deren Familien mit immerhin 10 Enkelkindern kochte. Hier wurden auch gemeinsam die Hausaufgaben erledigt und später im großen Hof gespielt. Nicht selten war hier auch eine ganze Reihe Nachbarskinder mit von der Partie.
Auch, wenn es das Gasthaus „Zum Lamm“ schon lange nicht mehr gibt und der Tanzsaal mittlerweile abgerissen wurde, auf die Frage „Wem g’heerschd’n du?“ mit der Antwort „Ich g’heer zu s’Lammwirts“ weiß auch heute noch jeder Leimersheimer welche Familie gemeint ist.
Text und Recherche: Anette Arnold, Lammwirtskind (2021)
Fotografien: Fotoalbum Anette Arnold
Fotobearbeitung: Regina Flory
Koordination: Regina Flory
Neugierig geworden? Hier gibt's noch mehr über's Lammwirts zu finden:
Gasthaus zum Lamm
Ernst P. Joachim, Postler
Heintz Gertrud (Trud), Bedienung
Schlossgasse
Joachim Bertas Ehemann Gustav Boltz
flo