Verzeichnis Namen und Leben

 

Heintz Gertrud (Trud)

Beruf(e): Näherin, Bedienung
Geburtsdatum: 19.12.1924
Geburtsort: Leimersheim
Sterbedatum (Todestag): 15.05.2006
Sterbeort: Kandel/Pfalz

Truds Couture

Briefbodds Trud – subjektiv erinnert von ihrer Nichte Brigitte Kamm-Tibad

Georgette, Organza, Taft
Was für faszinierende Namen hatten diese Stoffe, denen man in Truds Nähstobb begegnen konnte! Die Muster hießen Paisley, Vichykaro oder Polka Dot. Oder einfach nur geblümt, gestreift oder schlicht einfarbig. Als kleines Mädchen fand ich die einfach nur toll! Fast alle Sommerferien habe ich – im Doppelpack mit meiner Schwester Ursula – bei meinen Tanten Trud, Annelies und Großtante Berta Heintz in der Wattelsgasse verbracht.
Auf der Eckbank lümmelnd oder vom Schesslong aus ließ sich die Kleider-Anprobe von Truds Kundinnen bestens beobachten. Gern gab ich ungefragt meinen Senf dazu. Schon als Zehnjährige ging ich mit großer Begeisterung in den Laden von Mina und Zenz Boltz oder zu Ella Kuhn, um Reißverschlüsse, Nähseide und Vlieseline zu kaufen. So entwickelte ich mich ganz nebenbei zum Kurzwaren-Profi.

Leimersheimer Look
Bis in die 70er Jahre hinein hat Trud noch viele Kleider komplett hergestellt: Brautkleider, was Schickes fürs Tanzkränzl, elegante Sommerkleid-Kombinationen, Flower-Power und Frottee für den Strandurlaub. Solides und strapazierfähiges Material bezeichnete man als dankbar und der Trendstoff der 70er Jahre war Polyester. Sehr gefragt war auch neuer Staat für die Feiertage: Zu Ostern, am Weißen Sonntag oder an der Kerwe machte die Leimersheimer Damenwelt gern was her.
Die lokale Damenmode wurde maßgeblich von Aenne Burda geprägt. Bei Trud konnte frau ausgiebig die aktuellen Schnittmusterhefte von Burda Moden studieren. Aus diesen Schnitten, inspiriert von den Trends der Laufstege von Mailand und Paris, hat Trud dann tadelloses Gewand um die Figuren der Leimersheimerinnen modelliert. Gelernt hat sie ihr Handwerk bei ihrer Tante Berta Heintz, die Damenschneiderin war und noch bis zum Alter von 75 Jahren genäht hat.
Im Lauf der Zeit waren dann eher Änderungen und Reparaturen gefragt. Die Kostüme, Kleider und Röcke waren in großer Auswahl und schnell als Konfektionsware zu bekommen. Quelle machte es möglich, auch die Rheinpfalz-Kleidung in Rülzheim und die Geschäfte in Karlsruhe oder Landau. Zwar waren Truds Kleider äußerst preisgünstig, aber die handwerkliche Herstellung hat ihre Zeit gebraucht.
 
Ein Kleidungsstück entsteht
Los ging es, wenn Trud das Schnittmuster mit dem Kopierrädchen vom Schnittmusterbogen auf Zeitungspapier übertrug. In der Regel war das die Rheinpfalz. Die einzelnen Teile wurden danach ausgeschnitten und nach einem ausgeklügelten System auf der Stoffbahn festgesteckt. Dann wurde es spannend: Mit der massiven Schere schnitt Trud die Einzelteile beherzt aus dem Stoff und während wir Mädchen noch bangten, ob da wohl wirklich ein Kleid draus wird, hatte sie die Teile schon zusammengeheftet und das Ergebnis hatte wunderbarerweise schon ziemliche Ähnlichkeit mit dem Endprodukt.
 
Frauen in Unterröcken
Nirgendwo konnte man so viele Frauen in Unterwäsche studieren wie bei Trud. Wenn ihre Kundinnen die halbfertigen Kleider anprobierten, konnte man die Teile von Playtex oder Triumph – mit dem Zauberkreuz! – in den Ausschnitten der Unterröcke hervorblitzen sehen. Weiß oder pastellfarben, in Charmeuse und Nylon. Schön zu entdecken waren auch die selteneren rustikalen Exemplare, lachsrosa glänzend, oder formende Wäsche der Kategorie „Mein Hüfthalter bringt mich um!“ Mit der Zeit tauchten dann auch die ersten schwarzen BHs auf. Die Farbe galt als frivol und wurde anfangs nur als Trauerunterbekleidung toleriert. Während sich die Unterröcke halbiert und auf den Rückzug begeben haben, wanderten die Rocksäume nach oben. Dafür trugen die Frauen noch jahrelang Miederhosen, selbst die jungen, die das nicht nötig hatten.
Geniert haben sich die allerwenigsten Frauen, auch wenn anwesende Kundschaft interessiert Anteil nahm, wie Trud an Frau und Stoff Hand anlegte das Metermaß um den Hals geschlungen und durch die Stecknadeln nuschelnd, die sie sich zwischen die Lippen geklemmt hatte. Umhüllt von halbfertigem Gewand, in dem auch mal eine Nadel lauern konnte, verharrte die Kundin derweil konzentriert und bewegungslos, wenn sich die kalte Schere bedrohlich ihrer nackten Schulter näherte.
Nur sehr wenige Damen haben sich zum Umziehen ins angrenzende Kämmerle zurückgezogen, wo auch der niemals endende Nachschub an Aufträgen und Stoffen harrte.

Fasenachtskostüme – nicht lustig!
Neben den Hochphasen der Näherei, die von Jahreszeiten und Feiertagen bestimmt waren, war die Fasenacht ein besonderer Höhepunkt. Ganze Auftrittsgruppen wollten ausgestattet sein, und die Kostüme mussten gleich dutzendweise termingerecht fertig werden. Bereits in der Vorweihnachtszeit drohte die Deadline! Über Wochen lagen dann Stoffbahnen aus glänzender Kunstseide im Weg, und inmitten von wucherndem Tüllgestrüpp ratterte Trud an ihrer Nähmaschine stoisch und kilometerweise die Nähte herunter. Sie muss nachts davon geträumt haben. Manchmal hatte sie auch Gelegenheit, ihren genähten Kostümen wieder zu begegnen, wenn sie ins Lammwirts bedient hat. So manchen Fasebutz hat sie dort regelmäßig im Morgengrauen aus dem Saal gekehrt.
Irgendwann war die Fasenachts-Näherei für Trud nicht mehr zu bewältigen. Schluss mit lustig, beschloss sie, und nähte von da ab kein Kostüm mehr.

Im Maschinenraum – Truds Workspace
Von Montag bis Samstag, oft bis spät in die Nacht, trat Trud an ihrer Pfaff-Nähmaschine in die Pedale. Genau genommen, war es nur eins, dafür war der Antrieb aber mechanisch und gut für die Venen. Ihr Arbeits-Outfit, meistens Rock und Pullover, trug immer Spuren von Fäden und Stoff, auch Nadeln wurden dort gerne zwischengeparkt. Ihre Strickjacke hing über dem Arbeitsstuhl – ein ganz gewöhnliches Esszimmermöbel ohne ergonomischen Schnickschnack. Dort saß sie, über Stoff und Nähmaschine gebeugt. Bis ins hohe Alter und ohne Brille! Selbst wenn mehrere Kundinnen angeregt Neuigkeiten und Geschichten zum Besten gaben, brachte sie es fertig, konzentriert Säume runterzukurbeln. Natürlich mit einem Ohr dabei und nicht ohne ab und an einen Kommentar von sich zu geben.
Erst am Sonntagmorgen nach der Kirche konnte in der Nähwerkstatt klar Schiff gemacht werden. Nadeln und Fäden, die sich während der Woche im Teppich eingerichtet hatten, leisteten dem Staubsauger hartnäckig Widerstand. Endlich konnte die Nähmaschine in ihren Kasten versenkt werden. Dann war Feierabend, zumindest für die Maschine. Ausgepackt wurde sie dann erst wieder am Montagnachmittag.

Kein Sonntagsspaziergang für Trud
Über Jahrzehnte arbeitete Trud sonntags zusätzlich als Bedienung. Anfangs ins Lammwirts, später dann in der Rheinschänke Pfälzer Land. Noch bevor sie den letzten Bissen ihres Mittagessens runtergeschluckt hatte, wurde sie vom Schardt Fritz vor dem Hoftor eingesammelt und zur Rheinschänke gefahren, wo schon das Mittagsgeschäft Fahrt aufgenommen hatte. Schnell die weiße Schürze umgebunden, und schon ging´s los mit den Bestellungen. Brathähnchen und andere sonntägliche Gerichte und Getränke haben sie bis in den späten Abend hinein auf Trab gehalten. Bis sie heimchauffiert wurde und ins Bett fiel, war es oft Mitternacht. Der Montag war dann zumeist der einzige Tag, an dem sie ausschlafen konnte.
So sind wir Mädchen sonntags nur mit Annelies und ihren Freundinnen spazieren gegangen. Im herausgeputzten Sonntagsstaat. Wie man sich denken kann, hatte Trud natürlich auch den genäht!

Text: Brigitte Kamm-Tibad
Fotografien: Fotoalbum Brigitte Kamm-Tibad, Fotoalbum Elisabeth Deubig
Koordination: Regina Flory

Und welche Fäden die Trud noch in der Hand hält:
Lammwirtskinder/Lammwirtsküche, Verwandschaft
Ernst Paul Joachim, Postler, Wirt
Rheinschänke
, Arbeitsplatz
Manufakturwaren Mina Boltz
Klassenfoto 1931, Klasse 1
Klassenfoto 1933 Klasse 3
Klassenfoto 1937 Klasse 7
Schwab Franz, Nachbar
Bürckel Gärtners, Freundinnen
Bürckel Raimund (Nachbar)
Die Wattelsgässler

 flo

Verwandtschaft

Tochter von: Heintz Friedrich
Schwester von: Kamm Maria Helena (Lena)

Haus

Bewohner/in: Die Wattelsgässler

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