Die Hochwassersituation vor Tulla

Inwieweit die fränkischen Siedler ihre Häuser und Felder gegen Hochwasser geschützt haben, ist nicht bekannt. Im späteren Mittelalter versuchte man bereits, größere Teile der Anbauflächen und damit auch das Dorf durch Felddeiche vor  Überschwemmungen zu sichern. Doch unterschied sich die Hochwassersituation damals wesentlich von der heute. Der Rhein hatte ein relativ weites Bett - die Rheinniederung ist etwa 6-8 km breit -, hier "mäanderte" der Strom, bildete also größere Schlingen, die sich immer wieder verschoben. Bei Hochwasser konnte er sich ausbreiten, wodurch die Wasserstände generell niedriger waren. Allerdings verlegte er dabei des öfteren seinen Hauptstrom, was die Existenz einer Siedlung in der Niederung gefährden konnte, wie die oben genannten Beispiele belegen. 
Die "normalen" jährlichen Hochwasser dagegen richteten vor allem wirtschaftliche Schäden an. Dies galt besonders für die Frühjahrs- und Sommerhochwasser, welche Saaten und Ernte verderben konnten, wenn sie die damals noch recht niedrigen Dämme durchbrachen. Sie waren dann besonders schlimm, wenn sie mit starken Niederschlägen im Pfälzer Wald und in der Rheinebene zusammentrafen. Dann führten die Bäche, in Leimersheim Otter- und Erlenbach, Hochwasser, das oft nicht in den Rhein abfließen konnte. Dieses sammelte sich in den tiefer liegenden Teilen der Gemarkung, die für den Ackerbau weniger genutzt wurden, und bildete "Lachen" mit Schilffeldern und Versumpfungen, ein ideales Gelände für Stechmücken als Krankheitsüberträger. 
Das Ackerland und das Dorf waren zum einen durch Felddeiche, zum Rhein hin durch einen stärkeren Damm geschützt
Schriftliche Quellen über Rheinhochwasser in Leimersheim im Mittelalter liegen nicht vor. Das Verschwinden des Ortes Winden zwischen Leimersheim und Schreck (Leopoldshafen) im 15. und die Verlegung von Potz nach Neupotz im 16. Jahrhundert bezeugen jedoch die permanente Gefahr für das Rheindorf. Für die Zeit von 1300 bis 1625 sind etwa dreißig besonders hohe Rheinwasserstände überliefert, die sicherlich auch die Bewohner Leimersheims stark betroffen haben.
Für die spätere Zeit bessert sich die Quellenlage erheblich. So erfährt man, dass auch im 18.Jahrhundert häufige und besonders starke Hochwasser die Dörfer am Rhein bedrohten. Wie sich dabei die Situation für die Rheinauedörfer darstellen konnte, lässt sich aus einem Bericht des Bürgermeisters von Wörth aus dem Hochwasserjahr 1740 entnehmen, der eine extreme Hochwasserlage für seinen Ort beschreibt, die so auch für Leimersheim angenommen werden kann: "Es hat sich ein großer See erhoben …  Ist ein großes Wasser gewesen, dass der Rheinstrom fast zugrunde gerichtet worden ist." Dies will wohl sagen, dass das Gebiet um Wörth so unter Wasser stand, dass es einem See glich und man den Rheinstrom nicht mehr unterscheiden konnte. Der Bericht fährt fort: "Bei uns ist das Wasser über die Dämme gelaufen und hat nicht einen einzigen Damm ganz gelassen." Die Gefühle der Niederungsbewohner drückt er so aus: "Ist ein großer Schreck gewesen und man hat gemeint, der Jüngste Tag wär nah." (Text sprachlich angepasst.)
Die Auswirkungen eines solchen Hochwassers, vor allem wenn es in die Frühjahrs- oder Sommermonate fiel, waren katastrophal: Die Feldfrüchte verfaulten, man konnte kein Heu machen, so dass die Bauern ihr Vieh wegen Futtermangel verkaufen mussten. Hinzu kam der Schaden an den Häusern und Stallungen, die zum Teil einstürzten. Das Holz wurde weggeschwemmt.

Solche Situationen wiederholten sich immer wieder. Die großen Schäden betrafen auch die Landesherren, für Leimersheim die Kurpfalz. Denn wovon sollten Steuern und Abgaben entrichtet werden, wenn die Ernten vernichtet waren? So entstand ein zunehmendes Interesse der Herrschaft, Schäden abzuwenden. Dem dienten schon früh Dammbauten, aber auch "Rheindurchstiche", die schon vor Tulla auch bei Leimersheim vorgenommen wurden. Damit wollte man den "vollen Rhein" von den Wohnsiedlungen und den fruchtbaren Gemarkungsteilen ablenken.
Ein solcher Durchstich wurde bereits Anfang des 17. Jahrhunderts südlich von Leimersheim vorgenommen. Im Jahr 1617 war die Gefahr eines Rheindurchbruchs, der Neupotz und Leimersheim bedrohte. so groß, dass die kurpfälzische Herrschaft sich mit dem badischen Markgrafen auf eine für die damalige Zeit große Baumaßnahme einigte; dabei wurde der Durchstich von den Pfälzern, vor allem aus Neupotz, vorgenommen, während die Badener, vor allem aus Eggenstein, sich Schutzdämme auf damals pfälzischem Gebiet errichten durften. Bereits zehn Jahre später war dadurch die große Stromschlinge bei Neupotz zum Altrhein geworden.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstand für Leimersheim erneut eine große Gefahr dadurch, dass sich der Hauptstrom des Rheins auf den Ort und seine Gemarkung richtete und so seine Existenz bedrohte. Daher betrieb die von der Kurpfalz nach einem verheerenden Hochwasser 1758 eingesetzte „Rheinbau-Kommission“ enorme Baumaßnahmen am Rhein zwischen Schröck (Leopoldshafen) und Leimersheim sowie am Heinleinsrhein, für die zwischen 1770 und 1783 insgesamt 492.000 Faschinen, 291.000 Stickel und 1592 Bund Weiden verbaut wurden. Damit sollte der Hauptstrom von Leimersheim und seiner Gemarkung abgelenkt werden. Besondere Schwierigkeiten entstanden dabei dadurch, dass z.B. Neupotz keine Faschinen mehr liefern wollte, vor allem, aber weil die Badener Nachteile befürchteten und gegen die Baumaßnahme vorgingen, so dass schließlich die Kurpfalz sogar Militär aufbieten musste, um den Bau zu sichern.
Eine ganz außergewöhnliche Situation hätte den Schutzdamm fast zerstört: Der Winter 1787 war sehr kalt; es hatten sich mächtige Eisblöcke gebildet und den Rhein vor Leimersheim zu einem großen See aufgestaut. Die Gefahr war so bedrohlich, dass die Bewohner des Dorfes bereits in die Orte auf dem Hochufer flohen, um dort den Aufbruch des Eises abzuwarten. Der neue Rheindamm hielt, doch kam es dennoch zu großen Zerstörungen.
Auch in den Folgejahren wurde an Sicherungsmaßnahmen gearbeitet; es fehlte aber an einem klaren und weiterreichenden Konzept, mit dem man in Baden und auch in der Kurpfalz einverstanden war.
 
In der Zeit der Französischen Revolution und der französischen Besetzung des linken Rheinufers nach 1789 kümmerte sich die Obrigkeit zunächst wenig um den Schutz der Niederungsbewohner. Nachdem jedoch im Vertrag von Lunéville 1801 die Besitzrechte Frankreichs völkerrechtlich bestätigt wurden, wuchs das Interesse an einer klaren Grenzziehung zwischen Baden und der Pfalz. Auch die hohen Schäden, die durch die Rheinhochwasser immer wieder entstanden, führten zunächst zu lokalen Baumaßnahmen, dann aber zu Verhandlungen zwischen Baden und Frankreich, bei denen es um eine weiterreichende Regulierung ging. Schon 1810 legte J. G. Tulla als Indenieuroberst des badischen Staates Pläne zu einer umfassenden Rheinbegradigung vor, die jedoch wegen der Niederlage der Franzosen zunächst nicht umgesetzt wurden.


Text: 
Anton Kuhn
 
Quellen:
Bader, Manfred; Ritter, Albert; Schwarz, Albert; Wörth am Rhein, Ortschronik. Band 2, 1983
Boltz, Alfred, Neupotzer Heimatbuch 1985
Marthaler, Ernst, Leimersheim 778 – 2003. Die Geschichte eines Dorfes am Rhein. 2002
Musall, Heinz, Die Entwicklung der Kulturlandschaft der Rheinniederung zwischen Karlsruhe und Speyer vom Ende des 16. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts., 969. Heidelberg
Probst, Joseph, Geschichte der Stadt und Festung Germersheim, Speyer 1898

and/red