Verhöre, Verhaftung und Anklage
In Leimersheim begannen indes Untersuchungen und Zeugenvernehmungen. Dazu kamen der Untersuchungsrichter Jean-Louis Müller und der Gerichtssekretär Stephan Keller aus Kandel nach Leimersheim, wo sie sich wohl zunächst an den damaligen Bürgermeister Johann Michael Kuhn wandten. Auch die Gendarmerie Rheinzabern untersuchte den schwerwiegenden Vorfall und überwachte den Ort. So konnte sie feststellen, dass fünf Männer am Freitag nach der Tat aus dem Badischen nach Leimersheim zurückgekommen waren. Dieser Umstand machte sie verdächtig und sie wurden zum Verhör vor den Untersuchungsrichter gebracht. Zwar stritten sie eine Beteiligung ab, konnten aber den Verdacht nicht ausräumen. Vielleicht trug dazu auch die Tatsache bei, dass sich ihre Namen auf dem Sockel des neuen Friedhofskreuzes befanden. Über eine Woche stellte der Richter seine Nachforschungen an. Schließlich legte einer der Verdächtigen, es war J. Ziemer, ein umfassendes Geständnis ab, in dem er sowohl die Existenz einer "Schmugglervereinigung" zugab, welche das Kreuz auf dem Friedhof gestiftet habe, wie auch die Beteiligung an der Schmuggelaktion in der Nacht vom 14. zum 15. November.
Nach der Aussage Ziemers hatte sich der Vorfall so abgespielt: Die Mitglieder der "Vereinigung" hatten sich am Rhein eingefunden, um den Leinsamen in Boote zu verladen und auf die andere Rheinseite zu bringen. Er selbst habe den Rhein zuerst überquert, um in Linkenheim die Leiterwagen für den Abtransport der Ware zu holen. Weil er fürchtete, bestohlen zu werden und Verstärkung brauchte, habe er zwei Freunde in Linkenheim gebeten, ihm zu helfen. Am Rheinufer zurück, gab er das vereinbarte Feuerzeichen und P. Lösch, A. Lösch, J.J. Heidt und J.P. Müller kamen mit ihren mit Leinsamen beladenen Booten über den Rhein. Als sie am Ufer anlegten, seien plötzlich aus dem Gebüsch die Zollgardisten auf die Männer zugestürzt, hätten geschossen und wollten sie verhaften. Da schossen auch die beiden Helfer, welche hinter dem Damm gewartet hatten, auf die Zöllner und trafen einen von ihnen tödlich, zwei weitere wurden verletzt. Da rannten diese entsetzt zu ihrem Boot und ruderten zum anderen Ufer, den toten Kameraden ließen sie zurück. Die Schmuggler, welche sich versteckt hatten, kamen dann zu ihren Booten zurück, luden die Leinsamensäcke auf die Leiterwagen und brachten sie nach Linkenheim. Erst am nächsten Tag kamen sie nach Leimersheim zurück.
Nach dem Geständnis Ziemers wurden auch die übrigen Schmuggler verhaftet, das waren alle, die auf dem Kreuz genannt waren, nur J. P. Schaaf war ausgenommen, da er der Vereinigung nicht mehr angehörte. Eine weitere Aussage wurde dem Geständnis hinzugefügt: Auch drei Zollbeamte hätten den Schmugglern bei ihrem Tun geholfen. Diese wurden sofort aus dem Zolldienst entlassen und unter Arrest gestellt.
Welche Motive können Ziemer bewegt haben, dieses umfangreiche Geständnis abzulegen? Sicher hatten Gendarmerie und Untersuchungsrichter während der Woche weitreichende Untersuchungen vorgenommen und Beweismittel sichergestellt. So wurde zum Beispiel ein Kahn mit Leinsamen beschlagnahmt. Sicher veranlasste der Waffengebrauch mit der Folge von Tod und Verletzung von Zollbeamten die Untersuchungsbehörde dazu, mit größerer Härte vorzugehen und Druck auf die Familien auszuüben. Dabei muss auch das neue Friedhofskreuz mit seiner Inschrift eine Rolle gespielt haben. Denn Pfarrer Labbé (1833 -1863 Pfarrer in Leimersheim) vermerkt im Pfarrgedenkbuch zu der Schmugglergruppe: "… durch Verrätherei an diesem Stein entdeckt".
So sah sich Ziemer wohl in einer aussichtslosen Lage und hoffte, durch ein umfangreiches Geständnis für sich und seine Kameraden das Bestmögliche herauszuholen. Dabei handelte er wohl als Anführer der Gruppe. Nach seiner Aussage hätten auch die Leimersheimer Schmuggler nicht geschossen, sondern die Helfer aus Linkenheim.
Schließlich verfasste Untersuchungsrichter Müller die Anklageschrift. Darin beschuldigte er Jean Ziemer, Pierre Lösch, Jean-Jaques Heidt, André Lösch und Jean-Philippe Müller der Vorbereitung und der Durchführung von Schmuggelei von für den Export nicht zugelassenen Waren in Tateinheit mit Zusammenrottung und Anwendung von Waffen. Dabei seien in der Nacht vom 14. zum 15. November der Zollgardist Holländer erschossen und zwei weitere Zöllner schwer verletzt worden.
Weiter klagte er Philippe-Adam Geiger, Jean-Philippe Kuhn, Jean Schardt, Mathieu Heidt, Jean Weschler, Philippe Jacques Lösch und Georges-Adam Schaaf an, sich der Beihilfe zum Schmuggel schuldig gemacht zu haben. Drei Zollgardisten wurden angeklagt, den Schmuggel unterstützt zu haben. Die Wahl der Strafen in diesem schweren Fall empfahl er der Weisheit des Oberzollgerichts in Straßburg.
Auch die badischen Helfer wurden auf fanzösischen Antrag zwar verhaftet und verhört, nicht aber wie von Frankreich gewünscht, ausgeliefert, weil im umgekehrten Fall auch Frankreich keine Bürger an Baden ausliefere.
Die Leimersheimer Schmuggler mussten nun nach Straßburg ins Gefängnis gebracht werden. Vermutlich geschah dies in einem zweitägigen Gewaltmarsch entlang der damaligen "route nationale". Dabei nutzte wohl die Zollbehörde die Gelegenheit für eine öffentliche Demonstration ihrer Macht und zur Abschreckung, denn entlang der Rheingrenze wurde häufig geschmuggelt. Hier zeigte die Behörde, wie sie mit erwischten Schmugglern verfuhr.
Im Gefängnis in Straßburg – Die Verurteilung
Das Gefängnis in Straßburg war eine ausgedehnte Anstalt. Es lag an der Rue St.Jean und grenzte an die Ill. Hier wurden die Schmuggler am Abend des 26. November eingeliefert und mussten sich nun in der rauen unhygienischen Gefängniswelt mit französischer Sprache und Ordnung zurechtfinden. Ein trauriges Ereignis gibt Einblick in die ungesunden Lebensverhältnisse, die dort herrschten. Zwei der Inhaftierten starben im Januar 1812 in derselben Nacht an Faulfieber. Es waren Johann Schardt, einer der älteren Schmuggler, und Jean Link, ein verhafteter Ex-Zöllner.
Die Schmugglergruppe war fast ein Jahr inhaftiert, bevor es endlich zur Gerichtsverhandlung kam. Am 15. Oktober 1812 tagte das Oberzollgericht (Cour Prévotale des Douanes de Nancy) in Straßburg. Das Gericht legte die Untersuchungsakte von Richter Müller zu Grunde und vernahm noch einmal die Angeklagten, bevor es sein Urteil fällte.
Der Oberste Richter Manguin stellte zunächst den Sachverhalt fest: In der Nacht zum 15. November 1811 sei der Versuch einer Schmuggelaktion unternommen worden, beider von der Schusswaffe Gebrauch gemacht wurde. Dies habe sich in der Gemeinde Leimersheim zugetragen; von dort seien 40 Säcke Leinsamen, deren Ausfuhr verboten war, an den Rhein transportiert worden. Folgen dieses Verbrechens seien die Ermordung des Zollbeamten Holländer, der auf der Stelle getötet wurde, und die schweren Verwundungen zweier Zollgardisten.
Dafür verurteilt der Gerichtshof den Hufschmied Jean Ziemer aus Leimersheim, 44 Jahre alt, zum Tode. Als Mittäter wurden zu je zehn Jahren Zwangsarbeit (travaux forcés) und einer Stunde am Pranger auf dem öffentlichen Platz in Straßburg verurteilt:
Jean Pierre Lösch, Bauer, 39 Jahre alt,
Jean-Jacques Heidt, Bauer, 31 Jahre alt,
André Lösch, Bauer, 40 Jahre alt,
Jean-Philipp Müller, 50 Jahre alt.
Im Unterschied zu Ziemer wurde ihnen zu Gute gehalten, von dem Waffeneinsatz nichts gewusst zu haben.
Für "einfache Taten" und unter Anrechnung mildernder Umstände verurteilte das Gericht die übrigen Leimersheimer als einfache Träger ("simple porteur"), weil sie die Schmuggelei unterstützt und begünstigt hatten, zu einem Jahr Freiheitsentzug und fünfjähriger Polizeiaufsicht:
Philippe Adam Geiger, Bauer, 40 Jahre alt,
Jean-Philippe Kuhn, Bauer,33 Jahre alt,
Mathieu Heidt, Bauer, 33 Jahre alt,
Jean Weschler, Bauer, 44 Jahre,
Philippe-Jacques Lösch, Bauer, 39 Jahre,
Geoges-Adam Schaaf, Bauer, 38 Jahre.
Die beiden Ex-Zöllner wurden freigesprochen und in die Freiheit entlassen.
Weiter erklärte das Gericht die Einziehung des Leinsamens und eines Kahns für rechtmäßig. Es begnügte sich jedoch nicht mit den Freiheitsstrafen für die Schmuggler, sondern verhängte auch erhebliche Geldstrafen und forderte hohe Schadenersatzleistungen für die verletzten Zöllner sowie Gerichtskosten, die anteilig auf alle Verurteilten übertragen wurden.
Die Vollstreckung des Todesurteils an Jean Ziemer wurde schon für den 20. Oktober 1812 angeordnet, elf Monate nach der tragischen Nacht. Bis dahin wurde er im "Henkersturm" eingekerkert, einer Art Hochsicherheitsgefängnis. Eine Hinrichtung war damals ein großes öffentliches Ereignis. Daher fand sie auf dem Exerzierplatz der Stadt Straßburg um 11 Uhr mit der Guillotine statt. Die Mitteilung des Todes von Ziemer erfolgte dann ordnungsgemäß durch den Bürgermeister der Stadt Straßburg an den Bürgermeister der Gemeinde Leimersheim, aber ohne Nennung der Todesart, nur des genauen Zeitpunkts: 20.Oktober 1812, 11 Uhr.
Eine Merkwürdigkeit der Prozessakte ist nun besonders hervorzuheben: Auf dem letzten Blatt steht mit roter Tinte über die ganze Seite hinweg geschrieben: "Mort pour tous les braves", was man übersetzen kann mit "gestorben für all die Tapferen". Vermutlich war es der Gerichtsschreiber, der offensichtlich von der Schmugglergruppe, vor allem aber von Jean Ziemer so beeindruckt war, dass er diesen rühmenden Nachruf beifügte. Nach seiner Auffassung hatte also Jean Ziemer die Verantwortung für den Waffeneinsatz allein übernommen, seine Kameraden vor diesem Vorwurf geschützt und sie damit vor dem Todesurteil bewahrt. Das Adjektiv "brave" bedeutet außer "tapfer" auch "rechtschaffen", "anständig". Demnach hatte die ganze Gruppe den Schreiber sehr positiv beeindruckt und war für ihn keine Verbrecherbande.
Der Rest der Geschichte ist nun rasch erzählt. Nach einem Jahr kam die Gruppe der "einfachen Träger" wieder frei und kehrte nach Leimersheim zurück Auch die übrigen Vier hatten Glück. Nachdem Napoleon besiegt war, erließ der neu erhobene König Ludwig XVIII. eine Amnestie, welche die Tore des Gefängnisses für die Leimersheimer öffnete, die nun ebenfalls nach fast drei Jahren in ihre Heimat zurückkehrten.
In Leimersheim ist diese Geschichte nicht vergessen. Noch immer erinnert das "Schmugglerkreuz" auf dem heutigen Friedhof an die damalige Zeit. Auch nahm die Gemeinde das Jahr 2011 zum Anlass, eine 200-Jahrfeier zu veranstalten und dabei im Rahmen eines Dorffestes vor allem durch eine Freilichtaufführung das damalige Geschehen dramatisch in Erinnerung zu rufen. Martin Doll verfasste den Schauspieltext und übte als Regisseur das Schauspiel ein, welches in der Ortsmitte mit großem Erfolg aufgeführt wurde. Dem Text lag das Typoskript von André Weschler zu Grunde, ohne dessen sorgfältige Recherche dieses Ereignis weitgehend in Vergessenheit geraten wäre.
Text: Anton Kuhn
Quellen:
Weschler, André: Die Schmuggleraffäre zu Leimersheim, Typoskript.
Kuhn, Anton: Die Schmuggleraffäre zu Leimersheim 1811-1814, Hrg.: Gemeinde Leimersheim 2011
Marthaler Ernst, Leimersheim - Die Geschichte eines pfälzischen Dorfes am Rhein, Hrg.: Gemeinde Leimersheim 2002
and/red