Verzeichnis Namen und Leben

 

Joachim Ernst Paul

Beruf(e): Postangestellter, Wirt
Geburtsdatum: 09.03.1923
Geburtsort: Leimersheim
Sterbedatum (Todestag): 10.10.2016
Sterbeort: Leimersheim

De „ Poschdler“ kummt!
Dies hörte jedes Kind, jeden Werktag. Gespannt was er bringt, wartete man auf Briefe, Päckchen, Zeitungen, die Ansichtskarte vom Tegernsee und im besten Falle auf Zahlungen. In Leimersheim war früher der Überbringer „de Briefbodd“, dann „de Poschdler“. Heute sind die Herren und Damen mit dem gelben Bus „Zusteller“, ihre offizielle Bezeichnung für den Ausbildungsberuf lautet „Fachkraft für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen“.
Briefträger, Postbote, Zusteller sein, das bedeutet – außer am Sonntag – jeden Tag, bei jeder Witterung die Kundschaft zu beliefern.
Für die Leimersheimer ist Ernst Joachim besser bekannt als „de Poschdler“. Aus einer Familie kommend, in der sowohl die Post als auch das Gasthaus eine traditionsreiche Historie aufweist, war er selbst als Briefträger, später als Poststellenleiter tätig und im Nebenberuf Wirt.
 
1923 wurde Ernst Paul Joachim als erstes Kind der Wirtsleute Barbara (geb. Kuhn) und Ernst August, genannt „de Guschdl“, in die Welt von Post und Lamm hineingeboren. In dieser Zeit leitete der Vater die Leimersheimer Postagentur und beide Eltern bewirteten die Gäste „ins Lammwirts“.

Ernst besuchte zunächst die örtliche Volksschule bis zur sechsten Klasse, danach wechselte er in die „Aufbauschule“ nach Speyer. Am 1. August 1939 musste der Schüler seinen Besuch im sogenannten „Seppls-Kaschde“, dem St. Joseph-Gymnasium, nach der Mittleren Reife mit wehem Herzen abbrechen. Sein Berufswunsch, Förster zu werden, war somit in weite Ferne gerückt. Zurück im elterlichen Haus wurde er als Agenturbeihilfe bei der sogenannten „Reichspost“ eingesetzt. Die deutsche Bevölkerung bereitete sich derweil auf den Krieg vor.

Einen Monat nach der Festanstellung als ständiger Arbeiter im Postdienst, ereilte den erst Neunzehnjährigen im August 1942 die Einberufung zum Militär, seine Mutter Barbara übernahm den Zustelldienst. Während der französischen Besatzungszeit 1945/1946 mussten seine Eltern mit den Schwestern Emmi und Margot ihr Anwesen verlassen und wohnten in der Pfarrgasse. Aus politischen Gründen wurde sein Vater 1945 aus dem Postdienst entlassen, die Leitung übernahm bis 1958 die Ehefrau Barbara.
23. Juni 1948 – die Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft. Mit dem Zug in Rülzheim angekommen, wollte er zu Fuß nach Hause laufen. Für die letzten zwei Kilometer nahm ihn Ernst Ochsenreither, der Tankstellenbesitzer, in seinem Auto mit. Er war der erste Leimersheimer, den Ernst Joachim nach den langen Kriegsjahren sah.
Durch die Währungsreform im selben Monat bekam jeder Bürger 40,00 DM Startguthaben. Von diesem Geld kaufte er 200 Liter Wein und das Gasthaus konnte wieder eröffnet werden.
Noch nicht erholt von den Strapazen des Krieges und der Gefangenschaft, war es die Aufgabe von Ernst, den Tanzsaal von den Schäden des Krieges zu befreien. Der Tanzsaal musste zum Teil wiederaufgebaut werden, denn er war durch Granatsplitter und die Einquartierung deutscher, amerikanischer und französischer Soldaten schwer beschädigt. Als Depot für Tabak wurde der Saal in dieser Zeit ebenfalls genutzt, die Tabakhalle nebenan war durch einen  Bombeneinschlag völlig zerstört.
Pünktlich zur Kerwe 1949 fand die erste „Kerwemusik“, der erste Ball im „Lamm“ statt. Dies bedeutete einen Neubeginn für die geschundenen Seelen der Dorfbewohner nach dem verheerenden Krieg, die Menschen mussten wieder das Feiern lernen.

Seit 1948 arbeitete Ernst als Angestellter in der Gaststube, ab 1950 wurde er erneut als Zusteller in den Postdienst berufen. „Poschdler“ sein, das hieß, in den frühen Morgenstunden die Anlieferung durch das Postauto annehmen, die Zusendungen nach Wegeplan sortieren und dann mit dem schwer bepackten Fahrrad die Tour durch das Dorf starten. Danach waren die Ein- und Auszahlungen zu dokumentieren.  
Im selben Jahr übernahmen die drei Geschwister Ernst, Emmi und Margot das „Lamm“ mit dem Tanzsaal, 1962 ging die Konzession an ihn alleine über. Das hieß, morgens in der Post, abends und an den Wochenenden im Wirtshaus oder im Tanzsaal tätig sein. In den folgenden Jahren kamen noch zwei weitere Rollen hinzu: als Ehemann von Hedwig Beeri und als Papa von drei Mädchen.
Ernst Joachim nahm 1958 die Nachfolge seiner Mutter Barbara an, nun war er der neue Posthalter. Berufliche Unterstützung bekam er in den folgenden Jahren durch seine Ehefrau Hedwig und den Briefträgerinnen Emmi und Margot, seinen Schwestern, sowie Elisabeth Bast, Beate Wegmann, Hildegard Völker und Josef Bast.
1963 erfolgte der Abriss des Wirtshauses, das neue Wohnhaus mit größeren Räumlichkeiten für die Poststelle entstand. Viele Leimersheimer vermissten den Gastbetrieb in der „Wirtschaft“. Mit Ernst, dem letzten Lammwirt, endete die 150-jährige Gasthaus-Tradition.
Doch der Tanzsaal wurde mit Unterstützung der Familie weiterhin mit gutem Essen bei Faschingsbällen und Tanzkränzl geführt; Kinoabende, Tanzstunden, Vereinsversammlungen und zuletzt Musikstunden fanden noch statt, bis der Tanzsaal 1990 für immer schloss.

1984 kam der Abschied aus dem Postleben: Nach fast 45 Jahren endete der Dienst für „de Ernschd“ in der Poststelle.

Einer seiner Vorgänger begleitete ihn an diesem Tag: Max Marthaler, der letzte Postillion von Leimersheim. Beide haben mit ihrer Tätigkeit über Jahrzehnte das Dorfgeschehen mitgestaltet.
In einer Feierstunde durch die Hauptpostdirektion Speyer wurde Ernst Joachim gebührend verabschiedet. Die „Rheinpfalz“ schrieb dazu: „Der bei der Verabschiedung anwesende Bürgermeister Dörrler und Dorfpfarrer Steeg bescheinigten dem scheidenden Posthalter ein sehr gutes Verhältnis zur Einwohnerschaft.“
Für die Dorfbewohner galt Ernst Joachim als ein sehr höflicher Ansprechpartner, wenn es um persönliche Post- und Geldangelegenheiten ging, diskret und zuverlässig. In früheren Zeiten, in denen das Postamt als einzige Einrichtung einen öffentlichen Fernsprecher zur Verfügung stellte, kamen die Dorfbewohner, um die Verwandtschaft telefonisch zu benachrichtigen, wer in der Familie verstorben war oder um sich im Krankenhaus nach ihren Patienten zu erkundigen.
Das war die Hochzeit, in der die Post eine zentrale Rolle in der Gemeinde spielte. Die Renten wurden noch bar ausgezahlt und Ernst nahm dutzende Male am Tag die vielen verschiedenen Stempel für Pakete und Briefe zur Hand.
Selbst wenn die Kundschaft bis zur Tür stand und jeder vor den Weihnachtstagen noch dringend Pakete verschicken wollte, jeder noch schnell seine Briefmarke für die Karte mit „Süßer die Glocken nie klingen“ brauchte, jeder in Zeitnot war: Ernst blieb souverän und ruhig – wie er immer war.

So bleibt „de Poschdler“ Ernst in der Dorfgeschichte in bester Erinnerung. Das „Posthorn“ jedoch, es bleibt in der Familie Joachim. Auch heute – nach fast 110 Jahren – gibt es weiterhin einen „Poschdler“ aus s‘Lammwirts. Nach dem Schwiegersohn Karl-Heinz Ewert fährt jetzt ein Enkel das gelbe Postauto.

105 Jahre Postwesen in der Familie Joachim. Eine Tradition setzt sich fort.


Text und Recherche: Regina Flory (2021)
Quelle: Ute Ewert (Tochter), Gemeindearchiv Leimersheim
Fotografien: Familienalbum Ute Ewert
Bildbeabeitung: Regina Flory

flo

Wer noch mehr über die Lammwirtskinder erfahren möchte: 
Lammwirts Küche, Lammwirtskinder
Gasthaus zum Lamm
Männerchor 1858
Max(imilian) Marthaler, Postillion
 

Verwandtschaft

Sohn von: Joachim Ernst August (Gustl)
Bruder von: Keller Margot Martha
Neffe von: Joachim Richard
Cousin von: Joachim Richard Hans

Haus

Bewohner/in: Lammwirts Küche, Lammwirts Kinder
Bewohner/in: Gasthaus Zum Lamm

[zurück zur vorherigen Seite]