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Milchzentrale

Schafgartendamm 8

DIe Milchzentral' - Das Geschäft mit der Milch
Die Geschichte der Leimersheimer Milchzentrale begann 1937. In diesem Jahr stellte die neu gegründete Milchlieferungsgenossenschaft Speyer zur "Sicherstellung der örtlichen Versorgung mit dem Vertrieb von Milch und Milcherzeugnissen" einen Antrag an das Bezirksamt Germersheim zur "Abgabe dieser Erzeugnisse". Die Genehmigung wurde erteilt und Leimersheim stellte ein gemeindeeigenes Gelände im Schafgartendamm zur Verfügung, die Genossenschaft baute darauf "d‘ Milchzentral". Die Bauern nutzten bis dahin die Milch vorwiegend zur Versorgung der eigenen Familie, der Rest ging als Hofverkauf an die Nachbarn oder andere, meist langjährige Kunden vom Dorf. Als selbst hergestellte Butter, Quark (de "weiße Kees") und Buttermilch bedeutete die gehaltvolle Kuhmilch ein wichtiger, ein gesunder Teil der Ernährung in den vorherigen Jahrhunderten.
Einige Landwirte schafften sich nach der Eröffnung weitere Tiere an, die Milchproduktion wurde zur relativ sicheren Einnahmequelle. Nun konnten die Leimersheimer Viehbauern die Milch an die Genossenschaft abgeben, sie brachten abends ihre Lieferung auf die Waage zur Sammelstelle. Am Ende des Monats bekamen sie ihre Auszahlung. Für die Bauern war damals wie heute der Preis zu niedrig, gemessen an Aufwand und Risiko. 1955 berichtete der Rechner Emil Schaaf, dass die Leimersheimer Bauern einen Milchertrag von 115.000 Liter mit einem Fettgehalt von 3,95 % erzielten. Trotz des allgemeinen Rückgangs der Viehbestände sei dies ein erheblicher Teil im dörflichen Wirtschaftsleben.

"Frauenarbeit" in der Milchzentrale
Morgens lud das Molkereiauto die Lieferung der Bauern zur Weiterverarbeitung auf, brachte die behandelte "Frischmilch" mit für die Kundschaft, ab dem Jahr 1956 auch eine bescheidene Auswahl an Butter, Quark und Käse. Für die stets weiblichen Angestellten hieß das, in der Frühe die mit Bauernmilch bis oben gefüllten, schweren Kannen aus dem Kühlraum an die Rampe des Gebäudes zu rollen. Im gleichen Zug mussten die vollen 50- und 100-Liter-Kannen mit der "Frischmilch" aus Speyer für den abendlichen Verkauf schnell zurück ins Kühlhaus. Die Arbeit, auch an Sonn- und Feiertagen, bedeutete täglich fast 500 Liter Milch samt dem hohen Gewicht der Metallkannen zu heben. Eine gefüllte Kanne mit 100 Litern Milch wog 112 Kilogramm. Diese körperlich harte Arbeit der Frauen ist in unserer Zeit nicht mehr vorstellbar. 
Eine wöchentliche Testung der gebrachten Rohmilch auf Keime und Erreger führte ein Labor der Genossenschaft in Speyer durch, immer ein Herzklopfen für die Lieferanten - und für die Angestellten aus der Milchzentrale. Bei positivem Ergebnis musste die Lieferung des Bauern zeitweise eingestellt werden - was allerdings sehr selten vorkam.
Doch auch die leeren Kannen, Schöpfkellen, Oberflächen von Theke und Boden, auch die Kühlhäuser der Sammelstelle wurden im Rahmen der Hygienevorschriften überprüft. Einmal im Monat kam "de Kontrollär" in die Milchzentrale, auch die Waagen wurden geeicht. Dieser Besuch löste bei den Frauen, die für gründliche Sauberkeit sorgten, eine gewisse Anspannung aus - bis das erleichternde Ergebnis eintraf.

Ein "zentraler" Punkt 
Der abendliche Einkauf in der "Zentral" bei den gut gelaunten Verkäuferinnen war für Kinder und Erwachsene eine eher gerne absolvierte Aufgabe. Jung und Alt kamen mit ihrer "Milichkann", nahmen sich Zeit für eine kurze Plauderei. Die besten Rezepte der Welt für Käsekuchen wurden ausgetauscht, ebenso die Empfehlung für den neuesten Nachtisch. Erst recht, als man das Sortiment um "neue Delikatessen" wie Jogurt mit Kirschen und Käsedreiecken mit Champignons erweiterte, die eine Molkerei aus Hayna einmal die Woche lieferte.
An der Größe vom "Milichkännl" konnte man den Hausstand erkennen, von einem halben Liter bis zu 5 Litern. Für gute Stimmung im "Milichheisl" sorgte ebenso die Kundschaft; bei den Erwachsenen war der Einkauf der entspannte Abschluss des Tages. Und wenn es für die Kinder im Dorf abends hieß: "Los ab, in d‘ Milchzentral", nutzten sie die letzte Möglichkeit am Tag, noch kurz ein paar Freunde zu treffen um eine "Klingeltour" zu starten. Was oft damit endete, dass die Milchkanne beim Heimkommen mitunter nur noch halb so voll war.

Zeitenwandel
Als 1978 die Milchgenossenschaft aufgrund abnehmender Zulieferungen die Leimersheimer Zentrale nicht mehr anfuhr, musste die abendliche Milchlieferung nach Neupotz gebracht werden. Im Laufe der Jahre stellten die meisten Bauern auf reine Landwirtschaft um, die Kuhställe blieben leer. Nur wenige Söhne übernahmen den Hof, die Zeit der Milchbauern ging zu Ende. Und dennoch: bis Anfang der Neunziger erfreuten sich noch einige Dorfbewohner, wenn sie mit ihrer Milchkanne die noch warme Kuhmilch "direkt bei der Erzeugerin" in Leimersheim einholen konnten.
Die Lieferungen von Frischmilch in Kannen wurden ebenfalls eingestellt. Die Milchzentrale schloss. Der anschließende Verkauf von Milch- und Käseprodukten im unteren Teil des Gebäudes, im "klänne Lädl im Heisl", lohnte sich nach kurzer Zeit auch nicht mehr, der Tetrapack setzte sich durch, das große Angebot an Käse und Jogurt im Supermarkt lockte die Käufer. Das "Milichheisl" wurde 1980 endgültig geschlossen, umgestaltet zum Wohnhaus.

Die Frauen hinter der Theke
Bis heute erinnern sich viele Leimersheimer an die freundlichen, tatkräftigen Frauen aus der "Zentral"‘: Thekla Kuhn und Emma Stadter in den 50ern, Wally Sittinger bis 1965, Elisabeth Deubig bis 1978. Mit Katharina "Katsche" Boltz endete 1980 der Verkauf in der "Zentral".


Text und Recherche: Regina Flory (2021)
Quellen: Landesbibliothek Speyer, "Die Rheinpfalz" (1952) / Ernst Marthaler, Ortschronik "Leimersheim - Die Geschichte eines Dorfes am Rhein" (2002) 
Fotografien: Fotoalben Ernst J. Marthaler und Heidi Faßbender / Fotoalbum Helmut Sittinger / Johanna Kuhn / Hexenfibel Leimersheim 


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