Schlossgasse 6
"Schuhwarenhaus - Hüte und Mützen"
So stand es bis 1960 auf der steinernen Tafel auf dem Haus der Schlossgasse 6.
Nachdem die Burg zu Leimersheim Anfang des 18. Jahrhunderts abgerissen war, wurde der Teil des Wassergrabens in der Schlossgasse eingeebnet. Wiesen und Baumgärten entstanden in der kleinen Straße. 180 Jahre später erbaute auf einer Grünfläche der Schuster Raimund Leibel (*1854) mit seiner Frau Theresia (*1855), geb. Laveuve, ein Wohnhaus für die Familie nebst Werkstatt. Auch dessen Vater Johann Adam (*1822), ebenso der Großvater Johann Georg (*1779), kamen bereits aus einer Schuhmacherfamilie.
Über zwölf Jahrzehnte blieben die vier Schuster-Generationen bei ihren Leisten. In einer Gewerbeliste von 1871 ist verzeichnet, dass unter Johann Adam Leibel eine Putzmacherin das seltene Handwerk ausübte. Der Sohn von Johann Adam, Raimund, eröffnete 1895 seine Schuhwerkstatt im neuen Haus. Nach dem Tod seiner Frau Theresia 1896 sorgte er alleine für seine fünfköpfige Kinderschar. Das tägliche Ringen um den Lebensunterhalt prägte auch das junge Leben seiner Tochter Johanna (*1891), die beim Verlust der Mutter fünf Jahre alt war.
Nach dem Tod des Vaters Raimund 1922 führte sie das Schuhgeschäft weiter. Im Jahr 1925 heiratete sie den Kellner Paul Petzold, der ihr Faible für schicke Kleidung teilte. In den zwanziger und dreißiger Jahren übernahm sie auch die Arbeit als ehrenamtliche Rechnerin bei der hiesigen Raiffeisenkasse. Johanna Petzold galt als eine fleißige, eigenwillige Frau, die ihr Leben selbst in die Hand nahm.
Der Umgang mit Stoff- und Lederwaren war ihr bereits in die Wiege gelegt. So begann ihre Passion. Eine große, steinerne Tafel am Haus wies darauf hin: "Schuhwarenhaus - Hüte und Mützen". Der zweistöckige Hut- und Schuhladen von "Hannsche" war bei den Damen und Herren aus Leimersheim, ebenso aus den umliegenden Ortschaften, bekannt und gerne besucht. In der unteren Etage, im Zimmer zur Straße, bot sie für Damen und Kinder die Hüte und Mützen an, sowie in einem zweiten Raum die Herrenschuhe. Im Obergeschoss wurden die Frauen fündig. Aufgrund der regen Nachfrage eröffnete Johanna Petzold eine Filiale in Neupotz. Bis zu ihrem Tod 1960 war sie mit Begeisterung in ihrem Laden tätig. Und so erinnern sich noch viele an das geschäftige Haus und an Johanna Petzold - eine moderne Frau mit Hut, mit Mut und vielen Talenten.
Die nachfolgenden Bewohner des Hauses, eine junge Mutter mit drei Mädchen, bestaunten die gepflegte Holztheke mit den Regalen und die schöne Registrierkasse der Besitzerin, bewunderten den Garten mit den großen Hortensien. Mit dem Einzug 1961 von Elisabeth Deubig mit drei kleinen Töchtern wurde das Haus belebt und zeitgemäß umgebaut. Und wieder durch eine fleißige, eigenwillige Frau, die ihr Leben mit Mut und all den Herausforderungen selbst in die Hand nahm.
Text und Recherche: Regina Flory (2021)
Quellen: Anette Arnold, Joachim Emling / Landesarchiv Speyer, U 97, Handel, Gewerbe, Industrie
Fotografien: Fotoalben Ernst Emling, Margot Keller / Festschrift Schiffer- und Fischerverein (1958)
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