Der Schneider
Noch vor 50 Jahren kauften die Dorfbewohner ihre Bekleidung nicht als Konfektionsware in der Stadt, sondern sie gingen - wie von altersher gewohnt - zu ihrem Schneider, ihrer Schneiderin oder Näherin im Dorf. Diese lieferten den Stoff und die Zutaten und schneiderten ihnen den Anzug, das Kostüm oder das Kleid nach Maß. Die Stoffe konnten in einem Musterbuch ausgewählt werden.
Noch in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts war es schwierig, vom Dorf in eine der nahegelegenen Städte Karlsruhe oder Landau zu gelangen, wo es bereits Konfektionsläden gab, in denen man Kleider „von der Stange" kaufen konnte.
In früherer Zeit kam es im Leben eines „Dörflers" auch nicht sehr oft vor, daß er zu einem neuen Anzug kam, da ihm das Geld hierzu fehlte. Den Hochzeitsanzug, nähte in jedem Falle der örtliche Schneider. Dieser Frack wurde während des ganzen Lebens bei festlichen Anlässen angezogen, ebenso ist der Sonntagsanzug jahrzehntelang getragen worden. In der Regel begleitete er seinen Träger noch ins Grab.
Das Nähen der Kleider für den Mann, die Frau und die Kinder war ursprünglich alleinige Aufgabe der Frauen. Es galt als Hausarbeit und war somit Frauenarbeit. Im 11. Jahrhundert schneiderten die Mönche in den Klöstern ihre Mönchskutten selbst. In den nachfolgenden Jahrhunderten gab es dann in den Städten auch männliche Schneider. Dort entstanden die Schneiderzünfte. In diese wiederum wurden Frauen nicht aufgenommen.
Die Berufsbezeichnung des Schneiders kommt vom Zuschneiden, der wichtigsten Aufgabe in der Schneiderstube. Diese Arbeit war dem Meister oder einem erfahrenen Gesellen vorbehalten. Der Schneider mußte flink mit der Hand nähen können, denn Nähmaschinen hatte man erst seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in Gebrauch. Und es dauerte noch ziemlich lange, bis sich auch der Dorfschneider eine solche leisten konnte.
In unserem Dorf gab es bis vor einigen Jahrzehnten immer mindestens zwei Schneider; 1877 waren es vier, 1952 drei. Sie befaßten sich in erster Linie mit der Bekleidung der Männer. Der Handwerker hatte in der Regel keine so große Wohnung, daß er sich eine eigene Werkstatt hätte einrichten können. So stand der große Schneidertisch üblicherweise in der Wohnstube. Darauf saß der Schneider mit untergeschlagenen Beinen im sogenannten Schneidersitz und nadelte vom frühen Morgen bis in die späte Nacht hinein. Es waren unzählige Stiche mit der Nadel zu machen, bis der Anzug oder das Kostüm fertig auf dem Bügel hing. Dabei mußte der Handwerker noch preiswert sein, denn nicht alle seine Kunden hätten einen hohen Nählohn zahlen können. Reich konnten die Schneider sowieso nicht werden. Einen kleinen Zusatzverdienst hatten sie durch den Verkauf der Stoffe, die sie verarbeiteten. Die Werktagsbekleidung der Männer bestand meistens aus einem langlebigen und strapazierfähigen Manchesterstoff oder Drillich. Wenn die Hausfrau nicht selbst das Wams oder die Hosen flicken konnte, wurden diese zum Schneider zur Reparatur gebracht. Weil alle Schneider aus Leimersheim im 1. Weltkrieg zum Militär eingezogen waren, bemühte sich der Bürgermeister in einer Eingabe vom 23. Januar 1918 um die Beurlaubung des Krankenträgers Emil Boltz, der von Beruf Schneider war. In der Eingabe wurde die Notlage geschildert, die eingetreten war, weil die Bauern keine Arbeitskleidung mehr hatten. Das Gesuch wurde trotzdem abgelehnt. (GA)
Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts verbesserten sich die Verkehrsverhältnisse, und die Dorfbewohner konnten leichter in die Städte gelangen, um in den dortigen Kaufhäusern wesentlich billiger einzukaufen. Nicht zuletzt deswegen, weil die aus den Billiglohnländern kommende Konfektionsware mit geringem Lohnanteil hergestellt und deshalb preiswert angeboten werden konnte. Dadurch verlor das Schneiderhandwerk seine Kunden und somit seine Existenzgrundlage. Die Schneider im Dorf mußten früher oder später aufgeben. Die letzten Schneider im Dorf waren Gebhard Kuhn und Robert Weschler. Vorher arbeiteten in diesem Handwerk: Emil Boltz und Carl Joseph Hodapp
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Quelle: Ernst Marthaler, Leimersheim - Die Geschichte eines pfälzischen Dorfes am Rhein (2002) Seiten 491, 492 Absatz 3
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