Rheinstraße (L549)
Alte Fotos vom Leimersheimer Hafen zeigen Relikte vergangener Zeiten. Bei den Motiven handelt es sich um die Fangschiffe der Aalfischer, die Aalschokker, und ihren Beibooten, den Nachen, außerhalb der Fangsaison. Von November bis Mai ankerten sie hier geschützt vor Hochwasser, Treibgut und Eisgang. Die Wintermonate nutzten die Fischer, um beschädigte Netze zu reparieren und neue zu stricken. Die Netze aus den Naturmaterialien Baumwolle oder Hanf mussten vor dem ersten Gebrauch mit Katechu, einem gerbsäurehaltigen Harz der Gerber-Akazie (Senegalia catechu), imprägniert werden. Rechtzeitig vor der neuen Fangsaison wurden alle Seilwinden, Flaschenzüge und Drahtseile überprüft, repariert, gegebenenfalls ausgetauscht sowie neue Anstriche aufgetragen.
Der Aalschokker
In der Anfangszeit der Schokkerfischerei am Oberrhein erwarben die Fischer gebrauchte Schiffe aus Holland, die fast alle einen Holzkorpus hatten. Mitte der 1920er Jahre begannen die Werften in Germersheim und Speyer nach vorliegenden Plänen, stabile und robuste Fangschiffe aus Eisen zu bauen. Hierbei konnten Wünsche des Kunden individuell eingeplant werden. Jeder Schokker hatte mindestens einen Aufenthaltsraum unter Deck. Je nach Größe des Schiffes konnte auch ein Schlafraum oder eine kleine Küche berücksichtigt werden. Ein wichtiger Bestandteil waren die sogenannten Hälterkästen, abgeschottete Bassins, die vom Rheinwasser durchflutet wurden und bis zu 20 Zentner Aale aufnehmen konnten. Außenbords waren die beiden Rundbalken, der Oberbaum und der Grundbalken, angebracht, die mit dem Fangnetz verbunden waren. Der bis zu 20 Meter hohe Mast war in früheren Zeiten aus Tannenholz, später aus Eisenrohr gefertigt.
Das Herzstück des Aalkutters ohne eigenen Antrieb war das Netz, von den Fischern „Garn“ genannt. Das ca. 30 Meter lange trichterförmige Netz befestigte man an Rundbalken, den Netzbalken. Während der Fangsaison wurden tagsüber die schmalen Netzenden am Mast zum Trocknen im Wind hochgezogen. Damit glich das Fangschiff aus der Ferne einem Segelboot. Auch das reusenartige Schlussnetz, der Wolf, wurde am Mast aufgehängt. Dieser Vorgang war nicht mehr zwingend notwendig, als man bei der Netzherstellung auf die Materialien Perlon und Nylon zurückgreifen konnte. Zur weiteren Ausstattung eines Schokkers zählten beispielsweise auch diverse Seilwinden, Drahtseile und Sturmlaternen. Außerdem wurde zusätzlich ein Nachen beispielsweise zum Einbringen des Fangs benötigt.
Die Fangsaison
Zum Beginn der Fangsaison im Frühjahr wurde das Fangschiff mit einem Motorboot oder Raddampfer zu seinem Fangplatz auf dem Rhein geschleppt. Tagsüber beherrschte die Transport- und Personenschifffahrt den Fluss und die Schokker ankerten am Ufer. Mit beginnender Dämmerung ankerten die Dampf- und Motorschiffe am Ufer und die Aalschokker liefen aus. Mit Hilfe von Seilwinden, viel Geschick und reichlich Erfahrung wurde der Schokker in seine Fangposition in der Hauptströmung manövriert und dort verankert. Die Netzbalken wurden ausgefahren und der obere Netzbalken, der Oberbaum, wurde bis unmittelbar unter die Wasseroberfläche niedergelassen. Der mit einer Eisenkette beschwerte Grundbalken sank weit in die Tiefe, jedoch nicht bis zum Flussgrund. Gleichzeitig öffnete sich das Netz und tauchte in den Strom. Noch bevor es ganz dunkel wurde, mussten Positionslichter gesetzt werden, ansonsten war das Schiff nicht beleuchtet. In den Anfangsjahren der Schokkerfischerei waren die Lampen weniger von Bedeutung. Mit der Entwicklung des Radars und dem Beginn der Nachtschifffahrt erhöhte sich das Risiko für die Schokker bedeutend und trotz zusätzlicher Positionslichter waren die Fangschiffe und ihre Besatzung stets der Gefahr einer Kollision ausgesetzt.
Das Rheinwasser strömte mit enormer Kraft durch das Netz und trieb dabei die Aale und andere Fische in die Reuse. Nach etwa zwei Stunden stieg ein Besatzungsmitglied in den Nachen und ließ sich an einem Tau stromabwärts bis zum Ende des Fangnetzes treiben. Auf dem Schokker wurde mittels einer Winde der Grundbalken hochgezogen und somit konnte die Schlussreuse, der Wolf, aus dem Wasser gezogen, geöffnet und der Fang in den Nachen geleert werden. Die Reuse wurde wieder zugeknüpft und ins Wasser gelassen. Der Nachen wurde zurück zum Schokker gezogen, wo die Männer die erbeuteten Aale zählten, wogen und registrierten. Die Aale samt Beifang schütteten sie in die Hälterkästen. Der Grundbalken wurde erneut abgesenkt und das Netz öffnete sich wieder. Dieses Prozedere wiederholte sich mehrmals in der Nacht. Nachdem die Fischer in den frühen Morgenstunden die Schlussreuse ein letztes Mal geleert hatten, reinigten sie im Wirbelstrom das Garn und entfernten alle Verunreinigungen. Anschließend zog man das Fangnetz zum Trocknen am Mast hoch. Die Winden wurden der Reihe nach gelockert, die Netzbalken in ihrer Ruheposition an der Längsseite des Fangschiffes befestigt und der Schokker gierte zurück ans Ufer in seine Ruheposition. In den frühen Morgenstunden fuhren die Händler mit ihren Motorbooten die Anlegestellen ab und kauften die Aale auf. Den Beifang, z. B. Barsche oder Karpfen, vermarkteten die Fischer selbst.
Das Aalfangergebnis unterlag während der Saison großen Schwankungen. Dies bewirkten unterschiedliche Faktoren wie beispielsweise optimale Fangplätze in der stärksten Strömung oder ungünstige Stellen, die kaum einen Ertrag oder eine sehr schlechte Qualität einbrachten. In mondhellen Nächten fischte man teilweise überhaupt nicht, da kaum ein Aal ins Netz geriet. Wenn der Mond wieder abnahm, wanderten mehr Aale zum Atlantik und der Fang fiel deutlich ertragreicher aus. Zweifellos die größte Ausbeute gab es in Zeiten der Sommerhochwasser oder nach heftigen Gewitterregen. Stieg das trübe Wasser an, wurde sogar tagsüber gefischt, einschließlich des Wochenendes.
Hochwasser, Gewitter und Vollmond
Wenn der Schokker nachts in eine andauernde Schräglage geriet, konnte das Netz mit Fischen gefüllt sein. Aber es war auch möglich, dass Verunreinigungen wie Laub oder Zweige die Maschen des Netzes verengten und letztlich ganz verschlossen. Beseitigte man die Verstopfungen also nicht rechtzeitig, bestand die große Gefahr, dass der Druck des Wassers die Netze zerriss oder gar die Netzbäume brachen. Deshalb war es zwingend notwendig, das Netz regelmäßig zu kontrollieren. Außerdem gab es zur Absicherung einen Quecksilberschalter, der gegebenenfalls einen Alarm über eine batteriebetriebene Klingel auslöste. So wurden die Fischer in jedem Fall rechtzeitig gewarnt, zogen den Grundbalken hoch und das Netz trieb dadurch an die Wasseroberfläche. Die Strömung erzeugte hinter den Netzbäumen Verwirbelungen, die einen Teil des Laubes und der Zweige lösten und weitertreiben ließen. Die Reste wurden von den Fischern in mühevoller und gefährlicher Arbeit vom Nachen aus entfernt, teilweise mit Hilfe eines Messers oder einer Säge. Besonders ab dem Spätsommer, wenn die Bäume entlang des Rheins ihr Laub abwarfen, musste das Netz mehrmals pro Nacht gereinigt werden. Aber nicht nur das Laub in den Herbstmonaten machte den Fischern zu schaffen. Während der Sommerhochwasser schwammen im Fluss auch größere Äste und sogar Baumstämme, welche durch die dann noch stärkere Strömung in die Netze gerieten. Zerfetzte das Treibholz ein Netz, war die Fangarbeit vorläufig ganz zu Ende. Das Ausbessern oder die Neumontage des Garns waren eine zeitraubende Arbeit und konnten nur bei Tageslicht ausgeführt werden.
Fangsaison 1936
Als im Mai 1936 die Aalfangsaison begann, waren am Oberrhein zwischen Kehl und Ludwigshafen insgesamt 38 Aalschokker zum Fang zugelassen.
Amtsbezirk Anzahl Amtsbezirk Anzahl
Kehl 3 Neuburg 3
Rastatt 6 Leimersheim 9
Ettlingen 1 Speyer 3
Karlsruhe 1 Altrip 1
Bruchsal 2 Ludwigshafen 1
Mannheim 8
Badische Seite, gesamt 21 Pfälzische Seite, gesamt 17
(entnommen aus der Badischen Presse vom 23./24.5.1936)
Die Aalfischer
Heinrich Kuhn II. war der erste Schokkerfischer im Ort. 1924 erlernte er in Holland die Schokkerfischerei, erwarb dort seinen ersten Aalschokker „Henriette“ und übte ab 1925 dieses Gewerbe in Leimersheim aus. Mit diesem Schiff betrieb er gemeinsam mit seinem Bruder Wilhelm die Schokkerfischerei bis 1928, bevor es 1929 abgewrackt wurde. Wilhelm arbeitete 1924/25 als Schokkerfischer bei Kaub am Rhein und schloss sich 1926 dem Betrieb seines Bruders an.
Die Brüder Karl Michael und Adam Kuhn erstanden um 1928 ihre Schokker Rheinperle 1 und 2, welche sie zunächst bis 1932 gemeinsam und anschließend getrennt betrieben. Es kamen weitere Aalfischer hinzu und die Schokker wurden zum vertrauten Bild im Hafen.
Als Familienunternehmen war die Schokkerfischerei am wirtschaftlichsten. Demzufolge bestand die Mannschaft meistens aus Vätern und Söhnen, Brüdern oder Schwägern. Eine Ausnahme war der Fischer Anton Bürckel, denn er arbeitete über viele Jahre hin mit seiner Tochter als Gehilfin. Die Berufsfischer unter den Aalfischern erzielten weitere Einnahmen aus der Arbeit in Altrheinarmen, anderen Fischgründen oder Pachtgewässern. Außerhalb der Fangsaison waren die Fischer unter anderem als Schiffsführer, Lotsen, Fährleute oder in der Landwirtschaft tätigt.
In den Kriegsjahren von 1939 bis 1945 kam die Aalfischerei teilweise zum Erliegen. Einige der Fischer wurden zum Kriegsdienst einberufen und waren zudem in Kriegsgefangenschaft geraten. Die verbliebenen Berufsfischer gingen weiterhin ihrem Gewerbe nach. Gegen Kriegsende ordnete die Wehrmacht an, dass alle Schiffe auf der linken Rheinseite versenkt werden mussten. Damit sollten die heranrückenden Alliierten an der Rheinüberquerung gehindert werden. Nach Kriegsende wurden die Schokker der Reihe nach wieder gehoben, instandgesetzt und wieder in Betrieb genommen. Die Fischer mussten teils erhebliche Geldsummen aufbringen, um die Schäden zu beheben. Eine Kreditaufnahme war dann keine Seltenheit. 1946 nahmen zehn Fangschiffe ihre Arbeit wieder auf.
Das Ende der Schokkerfischerei
Mitte der 1950er Jahre wurde auf dem Oberrhein die Nachtschifffahrt eingeführt. Die Lebensbedingungen für alle Fische verschlechterten sich erheblich, wodurch die Bestände schrumpften. Als dann noch der Mangel an Nachwuchskräften hinzukam, waren immer mehr Fischer gezwungen, ihr Gewerbe einzustellen.
1969 beendete der Aalschokker „Simon Petrus“ als letztes Fangschiff die Schokkerfischerei in Leimersheim.
Neugierig geworden? Hier gibt es noch weitere interessante Artikel über die Fischer und Schiffer im Ort:
Rheinschiffer Laveuve Josef (Sepp)
Schiffer- und Fischerverein Leimersheim 1908 e.V.
Schiffermast
Text und Recherche: Heidi Faßbender (2022)
Quellen:
- „Aalschokker“ von F. W. Rödelsperger, Speyer 1983, Landesbibliothek Speyer K 33660
- „Die Rheinaalfischerei beginnt“, Badische Presse 23./24.5.1936, Nr. 119, Seite 16, Badische Landesbibliothek Karlsruhe
- Gemeindearchiv Leimersheim
- Johanna Kuhn
Fotografien:
- Fotosammlung der Ortsgemeinde Leimersheim
- Fotoalbum Gabi Hummel
- Fotosammlung Franz Pfadt
- Fischereimuseum Bergheim/Sieg
hfb/gla
Schokker | Zeitraum | Betriebsruhe | Fischer |
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Anna | 1928 - 1939 | Friedrich Emling | |
Henriette | 1925 - 1929 | Heinrich und Wilhelm Kuhn | |
Hoffnung | 1938 - 1956 | 1941 - 1945 | Karl Schardt |
Ida (ehemals Anna bzw. Ludwig) |
1940 - 1954 1955 - 1961 |
Adam Kuhn | |
Maria | 1935 -1936 1937 -1949 |
1940 - 1945 |
Rudolf Kuhn Anton Bürckel |
Neptun | 1937 - 1954 | Eduard Schwab II. | |
Otto | 1926 - 1967 | Heinrich und Wilhelm Kuhn | |
Pax | 1933 - 1935 1935 1936 - 1955 1956 - 1962 |
1941 - 1945 |
Eduard Wingerter Eugen Wingerter Oswald Heidt Robert Heidt |
Rheinperle 1 | 1928 - 1932 1933 - 1963 |
Karl Michael und Adam Kuhn Karl Michael Kuhn |
|
Rheinperle 2 | 1928 - 1932 1933 - 1940 |
Karl Michael und Adam Kuhn Adam Kuhn |
|
Sankt Jann | 1932 - ? | Simon Friedrich und Rudolf Kuhn | |
Simon Petrus | 1928 - 1969 | Heinrich und Wilhelm Kuhn | |
Vertrauen | 1932 - ? | Simon Friedrich und Rudolf Kuhn | |
Wilhelmine | 1929 - 1965 | Heinrich und Wilhelm Kuhn | |
N.N. | 1929 - 1932 1933 - 1939 1940 - 1955 |
1942 - 1948 |
Julius Schwab Emil Schwab Robert Schwab |
N.N. | 1929 - 1934 | Simon Friedrich Kuhn | |
Quelle: „Aalschokker“ von F. W. Rödelsperger, Speyer 1983, Landesbibliothek Speyer K 33660 | |||