Verzeichnis Namen und Leben

 

Spurensuche Keller Robert

Beruf(e): Ziegeleiarbeiter
Geburtsdatum: 28.09.1921
Geburtsort: Leimersheim
Sterbedatum (Todestag): 02.02.1942
Sterbeort: Berlin-Zehlendorf, Deutschland
Begräbnisort: Leimersheim
Wohnort(e): Leimersheim

"Wenn nur mal die Menschheit zur Einsicht käme und die Sache aufhören würde“ 

Eine Enkeltochter auf den Wegen ihres Opas Robert Keller, Opfer des Zweiten Weltkriegs
Schon als Jugendliche hatte ich großes Interesse an deutscher Geschichte. Ich habe schon früh Bücher über die Weltkriege, besonders zum 2. Weltkrieg und über die Judenverfolgung gelesen. Ich habe auch zahlreiche Bücher über diese Themen in meiner Bibliothek.
Weitere Quellen waren meine Familienangehörigen, die ich mit Fragen nach dem Krieg förmlich „löcherte“. Weiterhin interessierte mich auch die Ahnenforschung; hier war besonders meine Mutter Margot Keller geb. Joachim eine unerschöpfliche Informationsquelle. Es gab fast keine Leimersheimer Familie, deren Abstammung und Verwandtschaft sie nicht kannte.
Von meinem Großvater väterlicherseits Robert Keller, hatte ich wenige Informationen, da mein Vater Hermann Keller und seine Schwester Anneliese Kinder von 9 bzw. 7 Jahren waren, als ihr Vater 1939 zum Wehrdienst eingezogen wurde.
Meine Oma wollte nie über den Tod ihres Mannes sprechen, auch gegenüber ihren Kindern nicht. Feldpostbriefe waren nicht mehr vorhanden.
Nach dem Tod meines Patenonkels Wilhelm Kuhn gingen Fotos und seine Post an meine Familie über; dabei waren auch Feldpostbriefe meines Großvaters. Zum Entziffern der Briefe habe ich mithilfe des Internets die Sütterlinschrift erlernt. Die Stationen des Feldzuges habe ich dem Wehrpass meines Großvaters entnommen.  
Mein Opa war ein recht eifriger Schreiber; leider sind nur die Briefe an meinen Großonkel erhalten. In jedem seiner Briefe drückt er die Hoffnung aus, dass es seinen Lieben in der Heimat gut gehe – und endet immer mit einem hoffnungsvollen „Auf Wiedersehen“.
Mein Großvater wurde am 30. September 1939, also mit 38 Jahren in den aktiven Wehrdienst eingezogen. Er war verheiratet und hatte zwei Kinder: meinen Vater Hermann Keller zu der Zeit 9 Jahre und meine Tante Anneliese, 7 Jahre alt.
 
Zunächst war er zur Sicherung der deutschen Westgrenze oder auch Westwall eingesetzt.
Erste Station war Binsfeld in der Eifel, wie er schrieb, waren dort auch andere Leimersheimer stationiert. Noch war die Stimmung gut, man war in einer warmen Schule untergebracht, hatte genug zu essen.
Von hier schreibt er im November 1939: “Unser einziger Wunsch wäre, wenn nur der Krieg ein Ende nehme...Die schönsten Wünsche haben wir abends, wenn wir beisammen im Quartier sind. Wir haben ulkige, lustige Kerle bei uns, durch welche manch trübe Gedanken verscheucht werden.“
 Im Weiteren ging es nach Belgien zum Kampf um die Ijssel und Grabenstellung und schließlich zum Kampf gegen die Festung Antwerpen und die Schelde.
Die Gedanken meines Opas gelten natürlich seinen Lieben in der Heimat, immer macht er sich Gedanken zum Alltag seiner Lieben, zur Landwirtschaft und zum Fischen. Auch wird deutlich, dass stets Päckchen aus der Heimat mit Leckereien beim ihm ankommen. 
Er schreibt: „Wilhelm, jetzt wirst du bald wieder die vielen Aale fangen, ich wünsche dir viel Erfolg. Bei dem nasskalten Wetter eilt es noch nicht mit dem Kartoffel stecken.“ Wie geht das Geschäft? Wie beim Petrus, dass das Netz zerreißt?“
Die Kampfhandlungen gingen weiter über den Gentkanal über die Lys und schließlich zur Schlacht um Dünkirchen in Frankreich im Mai/Juni 1940.
Hier fand mein Opa zum ersten Mal kritische Töne, was verwunderlich ist, da die Feldpost ja durchaus der Kontrolle und Zensur unterlag:
„Die Leidtragenden sind halt immer die breiten Schichten, die die wirklich schuld sind an diesem Unheil, die machen sich halt immer bei Zeit aus dem Staub. Das Flugzeug, in dem die Lumpen abrücken, erwischt man nicht.“
 Die Soldaten kamen dabei auch in Berührung mit der Bevölkerung der umkämpften Gebiete.
Zitat “Man kommt durch Dörfer, wo man keine Spur von Krieg sieht und manche sind ganz zerschossen und einige niedergebrannt. Wenn nur mal die Menschheit zur Einsicht käme und die Sache aufhören würde.“
 Weiter ging’s in Frankreich nach Süden bis Ende September 1940, er nahm teil an den Kämpfen um die Pariser Schutzstellung, an den Verfolgungskämpfen bis zur Loire und über die Loire bis zur Besetzung Südwestfrankreichs. Letzte Station in Frankreich war der Küstenschutz an der französischen Atlantikküste.
Die Konfrontation mit der flüchtenden Zivilbevölkerung belastete meinen Opa.
„Dieses Bild mit den Flüchtlingen, das an uns in den letzten Tagen vorüberzog, vergesse ich meiner Lebtag nicht mehr. Ich muss immer wieder sagen, bin froh, dass unserer Heimat das erspart blieb.“
 Nach Handlungen beim Küstenschutz in den Niederlanden und Belgien bekam mein Opa erstmals und auch letztmals Heimaturlaub über Weihnachten 1940.
Danach ging’s zum Balkanfeldzug. Ich nehme an, dass es sich um die Gebiete Schlesien und Böhmen, das heißt heute Tschechien und Polen handelte.
Auf dem Weg dahin berichtet mein Opa von der fruchtbaren Landschaft und den großen Anbauflächen.  
Während mein Großvater bei der Besatzungstruppe im Ostraum eingesetzt war, wo es kalt ist, regnet und schneit, sehnt er sich fast lyrisch nach dem Frühling in der Heimat.
Zitat: „Würde gerne wieder einen Blick heim tun, jetzt wo sich bald wieder die Natur schmückt und alles grünt und blüht.“
 In diese Zeit fällt auch der weiße Sonntag seiner Tochter Anneliese, er wäre gerne dabei gewesen. Und auch in der Heimat fehlt natürlich der Vater bei diesem Fest. Aber mein Opa wünscht sich nichts mehr als ein schönes Fest für seine Familie.
Zitat: „Anna schreibt, ihr kommt zum Schmaus am weißen Sonntag. Seid recht vergnügt beisammen, dass Anneliese auch ein wenig Freude hat. Das ist doch so ziemlich der schönste Tag im Leben, man ist noch sorgenfrei und kennt den Ernst des Lebens noch nicht.“
 Am 18. Juni 1941 feiert mein Großvater seinen 40. Geburtstag im Feld.
Ob er ahnt, dass es sein letzter sein soll?
Zitat „Habe heute mein 40. Lebensjahr vollendet und wer weiß, das 41. Kann ich vielleicht noch feiern, wenn ich noch lebe.“
 Im August 1941 war mein Opa in einem Munitionslager an der litauischen Grenze eingesetzt.
Er fürchtet sich vor dem bevorstehenden kalten russischen Winter.
Zitat: „Wenn wir nur bis es kalt wird wieder von hier weg können, vor dem russischen Winter graut mir’s.“
 Im Oktober 1941 ist mein Opa in Russland in einem Munitions- und Verpflegungslager etwa 90 Kilometer hinter der Front eingesetzt.
Er schreibt: „Wir hören es ganz gut schießen und abends, wenn wir auf unserem Lager auf dem Boden liegen, spüren wir die schweren Schüsse und sehen den Feuerschein...unsere Kameraden da vorne tun einem leid.“
 Dann kam der russische Winter:
Im November 1941 berichtet Opa aus Toropez im Oblast Twer, früher Kalinin. Er träumt vom Essen und vom neuen Wein in der Pfalz. Schnaps bekommen die Soldaten jeden Tag. Und es ist kalt. Die Sümpfe und Seen sind bereits zugefroren.
Anfang Dezember 1941 berichtet er von -29 Grad Kälte.
Und die Gedanken sind natürlich immer in der Heimat. Er macht sich vor allem auch Sorgen um die Erziehung seiner Kinder, denen ja die starke Hand des Vaters fehlt.
Er teilt seine Sorge meinem Onkel mit: „Wie ich aus Eurem Schreiben sehe, bekommt ihr ziemlich Besuch von unseren beiden Braven, bis der Krieg rum ist und ich komme wieder heim werden sie mir über den Kopf gewachsen sein. Es hat eben manche Frau einen schweren Stand, wenn so Buben da sind u. der Mann fort u. wer weiß wann er wieder zurückkommt. Da muß eine Mutter schon robust sein mit der Erziehung. Bei unserem Hermann wäre es schon manchmal auch gut, wenn der Vater da wäre, an guten Ermahnungen wird es bei ihm nicht fehlen.“
 Der letzte Brief meines Opas kam am 11. Januar 1942, drei Wochen vor seinem Tod. Auch hier spricht er wieder von der großen Kälte.
Bei diesen Worten hatte ich förmlich Gänsehaut. Im Rückblick auf den Tod meines Großvaters, der massive Erfrierungen an Händen und Füßen erlitt, die ihm amputiert werden mussten und in der Folge an Herzversagen starb. 
Nach Recherchen im Internet nehme ich an, dass mein Opa seine Erfrierungen in der Kesselschlacht bei Toropez erlitt, wo von Temperaturen von −40 °C bis −46 °C berichtet wurde.
 
Ende Januar wird Opa ins Lazarett nach Berlin-Zehlendorf verlegt, wo er wenig später verstarb.
Zuvor, am 29. Januar, diktiert er der Oberschwester einen Brief, da er auch an den Händen Erfrierung erlitten hatte. Wieder galten seine Gedanken seiner Familie.
Die Schwester schreibt: „Er läßt Sie sehr herzlich grüßen und Sie sollen sich keine ernste Sorgen machen. Hier ist Ihr Mann gut aufgehoben, die Ärzte und die Schwestern auf der Station tun alles, um es ihm leicht zu machen und ihm zur Heilung zu helfen. Jetzt hat ihr Mann noch Fieber, das ist nicht verwunderlich, die Wunden rufen es hervor. Wenn sich Ihr Mann erst ein wenig erholt hat, wird alles bald besser werden.“
Drei Tage später war er tot und hinterließ seine Frau und die zwei Kinder.
 
Auch heute, 78 Jahre nach Ende des letzten Krieges mit deutscher Beteiligung, wo die meisten Deutschen Krieg nur noch aus den Geschichtsbüchern kennen, ist es wichtig, innezuhalten und auf die vielen Kriegsschauplätze in der Welt zu schauen. Der Volkstrauertag sollte uns allen Mahnung sein, menschlichem Leid gegenüber nie gleichgültig zu sein und täglich den Weg des Friedens zu gehen.
 
 
Text: Anette Arnold, Rede zum Volkstrauertrag 2024
Recherchen und Transkription: Anette Arnold
Fotografien: Familienalbum Anette Arnold
Fotobearbeitung: Regina Flory
Koordination: Regina Flory, Helmut Sittinger, Lothar Marthaler


 
Weitere Spuren sind zu finden bei:
Keller Robert - Gefallen
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Geisert Heinrich - Spurensuche
Gefallene und Vermisste im Zweiten Weltkrieg

flo

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