Untere Hauptstraße 42
Zur Vorbereitung der 1200-Jahrfeier bildete sich auf Anregung von Ortsbürgermeister Dörrler ein Ausschuß "Heimatmuseum". Die Leitung übernahm seinerzeit Rudolf Liebel. Es wurden viele Gegenstände des täglichen Lebens, aber auch Werkzeuge und Geräte des Handwerks und der Landwirtschaft zusammengetragen und damit eine Ausstellung im Gemeindehaus für die Gäste der Festwoche eingerichtet. Nach dem Fest hat man Räume gesucht, um aus der Sammlung eine Dauerausstellung zu machen. Einige Monate später wurde der Gemeinde ein altes Fachwerkhaus in der Hauptstraße, das aus dem Jahre 1731 stammt, zum Kauf angeboten. Der Vorsitzende des Museumsausschusses Rudi Liebel unterstützte finanziell den Ankauf des Anwesens und erbot sich, mit freiwilligen Helfern, das Haus zu renovieren. Da der Gemeinde daneben noch weitere private Spenden für diesen Zweck zuflossen und auch der Kreis einen Zuschuß gab, konnte der Gemeinderat dem Erwerb zustimmen. Das Haus wurde unter Denkmalschutz gestellt.
Studenten der Universität Karlsruhe untersuchten den Bauzustand und gaben in ihrem Gutachten Ratschläge für die Renovierung. Im Januar 1980 konnte der damalige "Förderkreis Heimatmuseum" das Anwesen übernehmen und mit den Arbeiten beginnen, bei denen im Laufe von drei Jahren mehr als 40 Helfer tatkräftig mitgewirkt und tausende Arbeitsstunden geleistet haben. Mitte des Jahres 1983 waren die Arbeiten abgeschlossen und am 3. Juli 1983, in der Blumenfestwoche, konnten die ersten Besucher das Fischerhaus und seine Ausstattung besichtigen. Und die Interessenten kamen in Scharen. Später wurden die Nebengebäude renoviert und die Scheune und Ställe, in denen früher Pferde und Kühe standen, zu einem Raum für Veranstaltungen ausgebaut. Während der Europa Woche 1987 wurde die neue Dorfscheune eingeweiht und zu ihrer künftigen Verwendung dem Verein übergeben. Seitdem fanden darin schon zahlreiche Ausstellungen von Malern, Holzschnitzern, Bastlern und anderen Künstlern statt. Auch für andere kleinere Veranstaltungen bieten sich diese interessanten Räumlichkeiten an, z. B. für kleine Konzerte.
Als das Haus 1731 von Hans Georg Becker und seiner Ehefrau Margaretha, geborene Müller, zehn Jahre nach ihrer Heirat gebaut wurde, stand es am Ende des Dorfes gegen den Rhein zu. Das weist ein Ortsplan aus jener Zeit (1739) aus. Das Fundament wurde mit Steinen der Klosterruine in Hördt aufgeschichtet. Damals wurden für viele neue Gebäude in unserem Dorf die Steine von Hördt geholt, weil das aufgegebene Kloster als Steinbruch genutzt wurde. Das Haus ist in der fränkischen Haus-Hof-Bauweise errichtet. Alle Wände sind Fachwerk. Die Einteilung der Räume entspricht der Lebensweise jener Zeit: an der Straßenseite eine große Stube, daneben die Schlafkammer, im Mittelteil der Hausgang (Flur) mit Stiege zum Dachgeschoß und Treppe zum Keller, dahinter die kleine Küche, deren Boden mit Steinen belegt ist. Der Herd mit der offenen Feuerstelle und auch der Backofen waren mit Bruchsteinen gemauert.
Das heute danebenstehende Haus wurde erst sehr viel später gebaut. Ursprünglich konnte man von der Küche in den angrenzenden Garten gehen. Die rückwärtige Stube war vermutlich einmal eine Werkstatt oder zumindest ein Arbeitsraum, vielleicht hat darin ein Korbmacher jahrelang seine Korbwaren geflochten oder ein Holzschuhmacher die damals gängigen Holzschuhe geschnitzt. Zu Zeiten, als das Haus, wie die meisten anderen, von zwei Familien bewohnt wurde, war der hintere Raum Wohn- und Schlafstätte zugleich. Die Küche wurde gemeinsam benutzt. Die Räume im Dachgeschoß waren Schlafraum für die heranwachsenden Kinder. Doch sie wurden daneben, wie auch der Speicher, zum Lagern des Getreides und anderer Feldfrüchte genutzt. Erstaunlich ist, daß die Türen in dem Haus so niedrig sind; sie messen noch nicht einmal 160 cm in der Höhe. Dadurch sollte erreicht werden, daß die Wärme in der Stube bleibt. Dem gleichen Zweck diente auch die hohe Schwelle, die Zugluft unter der Stubentür verhindern sollte. In der Stube hielt sich die ganze Familie tagsüber und auch abends auf. Hier haben die kleineren Kinder geschlafen, wenn in der angrenzenden Schlafkammer der Eltern der Platz nicht mehr reichte. Das Haus war - wie die meisten Häusern in unserem Dorf - nicht ganz unterkellert. Bei der Renovierung des Fischerhauses hat man darauf geachtet, daß die Räume so erhalten blieben, wie sie einstmals gebaut worden sind und auch deren Ausstattung entspricht den Lebensgewohnheiten jener Zeit, die so viel einfacher und bescheidener als unser heutiger Komfort waren.
Text: Ernst Marthaler
Quelle: Ernst Marthaler, Ortschronik "Leimersheim - Die Geschichte eines Dorfes am Rhein" (2002)
Foto: Fotosammlung der Ortsgemeinde Leimersheim
mar/red