Verzeichnis Namen und Leben

 

Förster Maria Katharina

Mädchenname: Weschler
Geburtsdatum: 14.08.1913
Geburtsort: Leimersheim
Sterbedatum (Todestag): 20.12.2007
Sterbeort: Kaiserslautern
Konfession: katholisch

Hochz.Dat. 1930
Ehemann: Heinrich Otto Förster, geb. 1914-04-12, gest. 1988-11-20
Töchter Ursula und Traudel leben beide in USA.


Kindheitserinnerungen
Von Maria Katherina Förster geborene Weschler
Die Eltern

Ursel, weil du überhaupt keine Ruhe gibst mach' ich jetzt, den wievielten Versuch dich zufrieden zu stellen und erzähle, wie es früher war.
Meine Mama hieß Pauline Weschler. Ihre Mutter starb als sie 8 Jahre alt war und ihr Vater als sie 16 Jahre alt war. Die Mutter hieß Elisabeth Schwab, geborene Emmling und der Vater hieß Albert Schwab. Er war Landwirt und hatte viel Land. Sie wohnten in der Wattelsgasse in Leimersheim/Pfalz.
In der Familie meiner Mama waren 7 Kinder. Sie hießen Edward, Lene, Katle, Julius, Rudolf, Karl und meine Mama Pauline. Das jüngste Kind Karl war 3 Jahre alt als die Mutter starb. Meine Mama musste das Kind hüten. Die älteren Geschwister mussten im Feld helfen. Während der Schulzeit band sie das Kind an ein altes Kriegerdenkmal. Sie beobachtete das Kind vom Schulfenster aus, dafür wurde sie vom Lehrer bestraft. Ihre Freundinnen halfen ihr und so beobachteten sie das Kind abwechselnd. Wenn es regnete holte eine gute Frau unser Karlchen zu sich in ihr Haus. Liebe und Hilfsbereitschaft war selbstverständlich, nur beim Lehrer nicht. Er hatte bei jeder Kleinigkeit den Stock in der Hand. Er war 40 Jahre Lehrer im Dorf, niemand hatte ihn gern. Die Buben, die schon ihre Schulzeit hinter sich hatten, grüßten ihn nicht mehr auf der Straße. Mit 65 Jahren wurde er pensioniert. Ob er seinen Stock mitgenommen hat wusste niemand. Es wäre auch unnötig gewesen, wenn er niemand mehr hatte zum verhauen. Meine Schulklasse hat bei seiner Abschlussfeier gesungen. Manche Kinder haben sogar extra falsch gesungen.
Ihr ältester Bruder Edward und seine Frau Barbara haben meine Mama und Karl versorgt. Das Ehepaar hatte selbst 4 Kinder Julius, August, Pauline und Berta auch in der Wattelsgasse in Leimersheim. Alle waren lieb und gut zu den Waisenkindern. Auch gab es eine liebe Nachbarin, die Mama mit ihrer Puppe spielen lies.
Bis zu ihrer Hochzeit mit Emanuel Weschler half meine Mama im Haus und in der Landwirtschaft.
 
Meine Eltern hatten sich von der Schule her gekannt. Sie waren in derselben Klasse. Papa war ein ziemlich wilder Bub und Mama zum Ausgleich ein braves, stilles Mädchen. Ihr Haus 98 7/8 am Weihersteg beim Erlenbach in Leimersheim wurde von Otto Weschler, Emanuel' s Vater 1908 zur Hochzeit meiner Eltern gebaut Er war der größte Mann im Dorf. Er war so stolz auf seinen Sohn und die Schwiegertochter, dass er eine Hochzeit vorbereitete die 3 Tage dauerte. Das ganze Dorf war eingeladen. Meine Mama war am 3. Tag so müde, dass sie nur noch schlafen wollte.
Mein Papa war Schiffer auf dem Rhein. Den Rhein hat mein Vater als den schönsten Fluss der Welt gehalten. Auch jetzt, wenn wir über eine Rheinbrücke fahren, sagt immer jemand, "Guckt euch den Rhein an." Wenn der Rhein sprechen könnte, hätte er viele Geschichten unserer Familie zu erzählen. Aber auch auf dem schönsten Fluss ist man am glücklichsten, wenn man nicht alleine ist. Deshalb machte das junge Ehepaar bald nach der Hochzeit ihre erste Rheinfahrt zusammen. Im nächsten Jahr war das erste Baby da. Der kleine Bub hieß Otto, wie sein Großvater und wurde mit großer Freude von der ganzen Familie willkommen geheißen. Leider starb das Kind mit 7 Monaten an einer Kindermehlvergiftung. Viele Kinder starben damals an dieser Vergiftung.

Die glücklichsten Jahre
Im nächsten Jahr kam Tochter Elisabeth, ein Jahr später Tochter Monika und nach 3 Jahren am 15. August 1913 kam ich auf die Welt in Leimersheim am Rhein, Weihersteg 98 7/8. Das ist schon lange her. Für die junge Familie waren das ein paar glückliche Jahre. Ich war eine kleine Enttäuschung, weil zu meinen zwei Schwestern wieder kein Bruder in der Wiege lag. Alle guten Eigenschaften für einen richtigen Lausbub hab' ich mitgebracht. Papa sagte nur: "Wieder ein Holländer Matrose." Mein erstes Jahr war ich mit der gesamten Familie auf dem Schiff. Papa war gerne Schiffer. Wie Mama das geschafft hat mit drei Kindern, die während der Fahrt in der Wohnung bleiben mussten? Meine Mama hat eisern durchgehalten. Dafür danke ich ihr heute noch. Ich wünsch' mir für Mama, dass ich so leicht eingeschlafen bin, wie heute vorm Fernseher. Lisbeth (Elisabeth) und Moni (Monika) waren zwei und drei Jahre alt. Das war schon ein kleines Wunder, wenn alle versorgt und ruhig waren. Papa hatte kaum Zeit. Er war am Ruder oder musste an Deck für Ordnung sorgen. Er kannte jede Kurve und jeden Felsen, der in der Fahrrinne lag. Es war viel Arbeit für beide, die sie mit Liebe und Freude für ihre junge Familie taten. Es sollte uns an nichts fehlen bei so guten Eltern. Wir drei Hüpfer waren bestimmt keine Engel. Trotzdem sagten die Eltern später oft, das wäre ihre schönste Zeit gewesen.

Der 1. Weltkrieg
Dann kam 1914 wie aus heiterem Himmel der grässliche 1. Weltkrieg. Papa musste in den Krieg. Er war kein Soldat der begeistert in den Krieg ging. Am liebsten hätte er jede Kanone, jedes Gewehr und was es sonst noch zur "Verteidigung" gab zertrümmert und den "Kaiser von Gottes Gnaden" mit seinen ganzen hochwohl geborenen Untertanen zusammen geholt zum helfen. Krieg war für ihn das größte Verbrechen der Welt und das unnötigste dazu. Das Vaterland musste verteidigt werden. Was ist denn ein Vaterland? Das Stückchen Erde auf dem man geboren ist. Man kann es sich nicht heraus suchen. Man kann nur froh und dankbar sein, wenn da ein Häusel steht mit einem großen Garten in einem schönen Gässel wie unser Weihersteg.
Auch Papa's 20 jähriger Bruder Karl musste einrücken. Er wurde an der französischen Grenze verletzt, ganz in der Nähe wo auch Papa war. Bis Papa davon erfuhr war sein Bruder schon tot. Der große Verlust war sehr schwer für Großvater Otto, Großmutter Apolonia, Papa, sowie seine Schwester Monika.
Karl war der erste Soldat von Leimersheim der im 1. Weltkrieg starb. Großmutter Apolonia brach zusammen. Sie hat wochenlang kein Wort gesprochen und hat es nie wieder so gelernt, wie vorher. In Onkel Karl's Bett durfte niemand schlafen. Darauf lag sein Anzug, als ob er wieder heimkommen würde. Ihre Gedanken waren bei ihrem Sohn bis an das Ende ihres Lebens. Lisbeth und Moni waren oft bei ihr. Ich war damals erst ein Jahr alt. Meine Schwestern waren drei und vier. Sie spielten Mühle mit ihr. Auf einem Karton hat Papa das Spiel aufgezeichnet Anstatt Spielknöpfe suchte Mama die passenden Bohnen dazu. Großpapa freute sich an allem, besonders wenn er sah, wie gut das Spielen mit den Kindern war für Großmutter.
Tante Teresa ( wir waren nicht mit ihr verwandt, aber nannten sie trotzdem Tante) wohnte uns gegenüber und war eine gute Freundin von Mama. Sie hatte 4 Söhne und 4 Töchter. Die zwei ältesten Söhne waren im Krieg. Eines Tages kam Tante Teresa kreidebleich. Sie setzte sich und weinte. Mama umarmte sie. Sie sagte ganz leise, dass ihr Sohn Eugen gefallen sei. Die ganze Nacht hatte ihr Hund gewimmert, als ob er es gefühlt hätte. Sie wäre auch die ganze Nacht sehr unruhig gewesen. Alle Frauen von der Nachbarschaft kamen um sie zu trösten. Aber es gab keinen Trost. Am nächsten Tag kam sie wieder. Der Hund hatte wieder die ganze Nacht gewimmert. Sie war kurz vor dem Umfallen. Mama hat sie zum Sofa geschleppt. Sie flüsterte nur, dass es heute ihr Sohn Fritz sei. Darauf hin wurde sie bewusstlos. Tagelang gab sie kein Lebenszeichen von sich. Ihr Mann und ihre sechs Kinder haben sich mit sehr viel Liebe um sie gesorgt und haben sie zum Leben zurückgeholt. Alles ging weiter. Vor allem der
erbarmungslose Krieg.
Das war 1914. Vier Jahre ging das Morden an der Front. Papa war zuerst an der Westfront, dann musste er nach Osten. Mama hatte mit uns drei Kinder Arbeit genug. Es war sicher eine traurige Zeit. In jedem Haus fehlte der Vater. Weil Leimersheim hauptsächlich von der Landwirtschaft lebte, mussten die Frauen viel arbeiten. Sie waren Bauer und Bäuerin, Vater und Mutter und Hausfrau für all die hundert Kleinigkeiten. Mama half bei ihrem ältesten Bruder Edward in der Landwirtschaft. Wir haben keine Not gelitten, wie die Menschen in den Städten. Von der Kriegszeit denkt mir bewusst nur, wenn eine Frau mit Trauerschleier vor dem Gesicht Sonntags zur Kirche kam. Wieviel Schmerz und Leid dahinter verborgen war konnten wir Kinder nicht wissen.
Papa hatte während den Kriegsjahren viermal Urlaub. Er musste es genießen bei seiner Familie zu sein und in dieser kurzen Zeit blieb die Arbeit liegen. Ich erinnere mich als ich 3 oder 4 Jahre alt war, kam mein Vater auf Urlaub vom Krieg nach Hause. Ich sagte ihm, dass ich ihn anbinde, dass er niemals mehr fort dürfe. 1918 war das Ende der Kämpfe und Deutschland war besiegt. Millionen Leben hat es auf allen Seiten gekostet. Zurück blieb ein verwüstetes Europa voll Armut und Hunger. Man sagte, dass der 1. Weltkrieg der Krieg sei, der alle Kriege enden sollte.

Die Heimkehr
Die letzten Kämpfer kehrten heim. Papa und seine Kameraden kamen den ganzen Weg zu Fuss aus Russland zurück. Sie haben sich durchgebettelt und durchgeschwindelt um nicht vor der Tür noch zu verhungern. Russen haben ihnen oft etwas zu essen gegeben und die besten Wege gezeigt.
Endlich kam Papa, ein müder Krieger mit Bart und armseliger Aufmachung in Leimersheim an. Er kam in's Haus und bettelte für etwas zu essen. Er sagte, "Ein armer Heimkehrer bettelt um ein Almosen." Ich, die geborene Neugierde wollte den Fremden genauer betrachten so richtig von oben bis unten. Dann rief ich ,"Du bist doch mein Papa!" Er hat mich hoch genommen und ich habe den nassen Bart verküsst, ich auf der einen Seite und Mama auf der anderen. Er sah genau aus, wie auf dem Bild an der Wand, an dem wir ihm immer Gute Nacht gesagt hatten. Mama hat geweint. Elisabeth und Monika sagten immer nur, " Papa, Papa", während ich mit ihm schmuste. Alle waren über glücklich. Die zwei größeren Mädchen rannten von Haus zu Haus und schrien, "Unser Papa ist da." Bald wusste das ganze Dorf, dass Emanuel zu Hause war. Die Nachbarn kamen. Es gab Freudetränen, aber auch viel Trauer für die, die ihre Söhne, Väter und Männer im Krieg verloren hatten. Sie ruhten in fremder Erde.
Großmutter und Großpapa hielten Papa an den Händen, als wenn sie befürchteten ihn wieder zu verlieren. Der Schmerz über den Verlust ihres jüngsten Sohnes im Krieg haben sie nie überwunden.

Der heißersehnte Sohn
Nach einem Jahr kam in unser Dreimädchenhaus der ersehnte Stammhalter unser Ernst. Endlich war ein Weschler da, der den Namen weitertragen würde. Mein Opa und Papa gingen mit Frack und Zylinder in die Kirche zur Kindestaufe.
Nach der Taufe wurde das Baby frisch gewickelt. Wir standen alle drum herum und schauten zu. Auf einmal saß Moni in einer Ecke und weinte bitterlich. Alle wollten wissen, was los sei. Endlich gestand sie unserer Mama, dass sie meinte, dass unser Bübchen nicht richtig getauft sei, denn er hätte seine Erbsünde noch.
Ernst sah unserem Vater sehr ähnlich und hatte wie alle Weschler blonde Haare. Ich war selig, weil ich viel lieber mit Buben spielte als mit Mädchen. Auch durfte ich Mama helfen das Baby zu versorgen. Dafür wurde ich immer gelobt.

Meine Oma und Opa
Meine Großeltern wohnten am anderen Ende des Dorfes. Sie kamen jeden Tag zu uns. Sie wären am Liebsten für immer bei uns geblieben. Opa Otto spielte mit uns, half Lisbeth und Moni mit den Schularbeiten, während ich auf seinem Schoss herum rutschte. Er war der grösste Mann, denn ich kannte und er konnte alle Wehwehle heilen. Auf seinen Knien habe ich mich wie im Himmel gefühlt. Mein Opa war die große Liebe meiner Kindheit und mein allerbester Freund.
Als ich auch zur Schule musste, hat er mich oft während der Schulpause besucht. Ich hüpfte ihm in die Arme und küsste ihn auf die Wange. Meine Schulfreunde schrien und kicherten, "Sie hat ihren Opa geküsst." Daraufhin küsste ich ihn auf die andere Wange. Er war beliebt bei allen Kindern. Alle nannten ihn Vetter Otto. Sonntags holte er die übriggebliebenen Brezeln beim Bäcker ab und teilte sie an die Dorfkinder aus.
Ich war übertraurig als mein Opa Otto mit 62 Jahren starb. Ich sagte zu meiner Oma, dass es mir lieber wäre, wenn sie gestorben wäre. Dafür wurde ich von meinem Vater nicht bestraft. Er sagte nur, "Lass sie in Ruhe, sie weiss am besten was wir verloren haben".
Auch Großmutter war mir nicht böse. Doch sie war durch den Tod ihres Sohnes still geworden. Ich glaube, sie konnte sich an nichts mehr freuen. Lisbeth war oft bei ihr. Sie haben zusammen im Kalender gelesen und gesucht welcher Heilige an diesem Tag gefeiert wurde. Wenn ich sie besuchte hat sie mich immer gründlichst untersucht, ob ich meine Kleider schon wieder verdreckt oder sogar zerrissen hatte. Ich war doch schön sauber. Großmutter setzte die Brille auf und fand die Dreckle. Aber sie hatte auch gute Seiten. Sie hat unsere Strümpfe gestrickt, konnte gut kochen und backen. Nach dem Tod meines Opa's war sie sehr allein. Ich habe oft mit ihr zusammen Mittaggegessen. Sie sass ungern alleine am Tisch. Ihr Essen hat mir immer geschmeckt.

Der Alltag
Mein Papa musste wieder als Kapitän auf s Schiff. Mama blieb mit den Kindern zu Hause, weil Elisabeth und Monika zur Schule mussten. Papa fuhr meistens auf dem Oberrhein und kam oft nach Hause. Mama sagte, dass sie entweder am Auspacken oder am Einpacken sei. Er erschien oft plötzlich zu jeder Tages und Nachtzeit. Er ist durch' s Fenster eingestiegen und hat uns alle geweckt. Es war immer ein langer Fußmarsch für
Ihn, weil Leimersheim keine Zugverbindung hatte. Nach Jahren kam eine Sensation. Zwei junge Männer kauften Autos und fuhren zu allen Zügen die in Rülzheim, Rheinzabern oder Leopoldshafen ankamen. Jetzt mussten die Männer, die außerhalb arbeiteten nach einer Woche meist schwerer Arbeit nicht mehr auch noch die Kilometer laufen bis sie am heimischen Tisch sitzen konnten. Bei der ersten Ankunft mit dem Auto haben alle gesungen. Wir Kinder haben natürlich mitgefeiert. Nun war Leimersheim nicht mehr am Ende der Welt.
Mein Papa war lieb, aber auch sehr streng. Wir Kinder mussten ruhig am Tisch sitzen und durften beim Essen nicht sprechen. Mama lachte ihn an und sagte, "Das sind unsere Kinder, nicht deine Soldaten." Nachdem der letzte Teller leer gegessen war sagte er oft, "Auf jetzt gehen wir in den Wald." Er zeigte uns Vogelnestchen und erklärte uns sie nicht zu berühren, sonst käme die Vogelmutter nicht zurück um ihre Babies zu füttern.
Einmal kamen wir an einen Platz, wo es viele Brombeeren gab. Am nächsten Tag zogen wir mit Wägelchen und Kübeln hin um sie zu pflücken. Aus dem Brombeersegen hat Papa Wein gemacht. Dann wurden seine Freunde eingeladen. Das wurde ein fröhlicher Abend. Wir Kinder durften einen Löffel voll Brombeerwein versuchen.

Wilde Spiele
Wenn die Buben Wettrennen liefen, war ich gleich dabei. Die Erste wurde ich nie, aber selten die Letzte. Beim Bäume klettern war ich verwegen. Wenn einer behauptete, dass ich nicht hinauf komme, habe ich lieber einen Absturz riskiert als es zuzugeben. Am Abend kam dann das dicke Ende, denn ohne Löcher in den Strümpfen, Risse im Kleid oder Schürze ging es selten. Mama sagte sie würde nichts mehr für mich flicken und ich müsse mit zerrissenen Sachen in die Schule gehen. Lisbeth und Moni haben sich mit mir geschämt. So ein Quatsch! Ernst wurde mein Verbündeter. Mein Bruder hat mir in vielem den Großpapa ersetzt. Mit ihm konnte ich so richtig was drehen. Oh, wenn Papa gesehen hätte, was wir auf seinen Bäumen getrieben haben, hätte er den Garten abgeschlossen und den Schlüssel mitgenommen. Einmal haben wir an Papa' s Bäumchen gewirkt. Das haben wir nur einmal ausprobiert. Er hat uns in den Saustall gesperrt. Dort gab es nur Stehplatz. Er hat im Garten gearbeitet und sich unsere Musik angehört.

Die Schulzeit
Moni und Lisbeth gingen zur Schule, während ich noch ein freies Jahr hatte. Mama wird froh gewesen sein, als es zu Ende ging und ich nicht mehr als "Dorfbesen" von Haus zu Haus wanderte und alle Leute besuchte, um zu sehen, wie bei ihnen gekocht, gewaschen und geputzt wurde. Auch wollte ich wissen, ob alle Leute gesund waren und ob ich irgendwo helfen konnte. Ich habe mich in allen Straßen und Gässchen wie daheim gefühlt. Aber ich war nicht überall willkommen. Viele Leute mussten schwer arbeiten und hatten keine Zeit für mich. Mama schämte sich manchmal mit mir. Viele sagten, sie soll mich lassen, denn ich könne so schön erzählen und helfe sogar noch gerne. Sie lachten mit mir, während ich ihnen alles erzählte, was ich von der ganzen Umgebung erfahren hatte. Wenn ich jetzt daran denke, muss ich die Bildzeitung von Leimersheim gewesen sein. Das war Jahrgang 1918 bis 1920.
Im ersten Schuljahr hatten wir ein gute Lehrerin. Im zweiten Schuljahr mussten die Buben zum Lehrer Wolf und die Mädchen zu Nonnen. Die Nonnen waren auch gut, aber nicht so beliebt, wie unser Fräulein Hubrich. Wir haben uns schnell daran gewöhnt. Jetzt mussten wir immer schön brav sein und still sitzen. Wenn die Kirchenglöcken läuteten mussten wir in die Kirche gehen. Vorher sind wir auch oft und gerne in die Kirche  gegangen, aber es war freiwillig. Jetzt mussten wir um sieben Uhr in der Kirche sein. O weh, wenn jemand eine Minute zu spät kam. Unser lieber Herrgott hat sicher nicht so genau auf die Uhr geguckt. Jedenfalls, wenn ich in Gedanken meine Schulkameraden so herhole, dann kann ich nur denken, sie sind gut und brav durch das Leben gegangen. Einige vielleicht ein bisschen besser als die anderen.
Meine Schwester Lisbeth war die große Stille. Sie war oft bei ihrer Freundin oder in ihrem Zimmer. Sie nähte oder stickte an etwas was Moni und ich nicht sehen durften. Sie wollte von der Hausarbeit nichts sehen und hören. Sie war eine hochbegabte Puppenkleidernäherin. Sie fragte ihre Freundinnen, ob ihre Puppen auch ordentlich angezogen seien. Wenn nicht, lagen sie bald in Lisbeth's Nähstube. Aus Stoff'restchen
wurde ein Kleidchen, manchmal so schön, dass sie es am Liebsten in einem Spielwarengeschäft ausgestellt hätte. Die ärmeren Püppchen mussten mit weniger zufrieden sein. Oben eine Kette mit 3 Maiskörnern und unten ein kleines Röckchen. Ja, sie konnten ja nicht nackt gehen. Heute wäre das Model der letzte Schrei. Die Damen und Dämchen gehen immer mit noch weniger zu ihren Tanzabenden. Wegen Stoffmangel wird alles auf den Buckel oder sonst wohin gemalt. Das ist der letzte Schrei.
Meine Schwester Moni, zwei Jahre älter als ich, war ein zartes Pflänzel. Wenn wir draußen spielten mussten wir immer in ihrer Nähe bleiben, weil sie oft ohnmächtig wurde. Dann mussten wir sie heimtragen. Sie war fleißiger im Lernen als ich. Sie hat stundenlang die Bibel oder ein Gedicht gelesen und hergesagt, bis ich es vom Zuhören konnte. Trotz allem lernen wusste sie am nächsten Tag in der Schule kein Wort mehr. Einmal hat mich ihre Lehrerin gefragt, warum Moni nie etwas gelernt hätte. Ich habe ihr geantwortet, dass Moni den ganzen Nachmittag lernt und dass ich alles vom Zuhören mit gelernt habe. Wahrscheinlich hat die Lehrerin mir gar nicht geglaubt. Am nächsten Morgen stand Moni vor meiner Klassenzimmertüre und sagte zu meiner Lehrerin, ich solle mit ihr kommen. Moni fragte mich, "Weisst du wie das Gedicht "Großmutter Holzsammlerin" geht, das ich gestern gelernt habe?" Ich habe es ihr auf der Treppe schnell vorgesagt, bevor wir zu ihrem Klassenzimmer kamen. Aber als Moni gefragt wurde bekam sie solche Angst, dass sie zitterte und sie konnte kein Wort sagen. Dann musste ich das Gedicht vortragen. Ich konnte es vom Anfang bis zum Ende.
 
Papa nahm Moni während der Ferien mit nach Duisburg zu seinem Freund Dr. Dippe. Er stellte fest, dass Moni Schulangst hatte. Daraufhin blieb sie mit Papa auf dem Schiff und wurde mit Erlaubnis der Schulbehörde von ihm unterrichtet. Er lernte jeden Tag mit ihr. Bei einem Test mit ihren früheren Schulfreundinnen hatte sie gute Noten gebracht. Oh waren die Zwei stolz. Es war ein Fest für uns alle. Mama hatte ihr Sorgenkind im Arm und strahlte. Unser kleiner Ernst setzte sich neben Moni und sagte, " Ich bin dein Bruder. Wir lernen jetzt zusammen. Du bist meine Lehrerin." Großpapa und Papa pflanzten zur Feier einen Aprikosenbaum. Kein Wunder, dass Aprikosen dann Moni's Lieblingsobst wurde.
Sie war lange Zeit ein zartes Pflänzel. Wenn sie daheim war durften wir nicht zu weit vom Hause weg. Die Eltern waren immer in großer Sorge. Einmal wollte sie unbedingt mit zu einem Schulausflug. Ich habe die größten und stärksten Mädchen angeschleppt und die haben Mama hoch und heilig versprochen, dass sie Moni immer in die Mitte nehmen, damit sie gar nicht umfallen könne. Also ging‘s los. Morgens um halb fünf. Auf einem Heuwagen waren Bretter gelegt. Da nahmen wir Platz. Natürlich waren wir gut mit Futter versorgt. Gleich fingen wir an zu singen, "Wer recht in Freuden wandern will, der geh' der Sonn' entgegen." In Annweiler wartete unser Fuhrmann mit seinen Pferden auf uns, während wir die Burgruine Trifels besichtigten. Bis zum Rhein kam man von dort sehen. Wir sind in den alten Mauern stundenlang herum gesaust und haben uns gegruselt, wenn wir an die alten Raubritter dachten, die da vor Hunderten von Jahren hausten. Ein Schlossgespenst war nicht zu sehen. Der Tag ging zu Ende. Wir freuten uns alle auf unser kleines zu Hause. Niemand wollte in einer Burg wohnen. Die Fahrt durch unsere schöne Pfalz war noch ein extra Fest. Wir haben mit Begeisterung stundenlang ein Lied nach den anderen gesungen. Tagsüber hatten wir Moni Pausen verordnet. Sie hatte trotzdem viel Spass beim Ausflug. So war alles gut gegangen, auch für Moni. Sie hatte einen guten Tag und ein fröhliches Lachen im Gesicht. Wir sangen bei der Heimfahrt durch unsere schöne Pfalz. Wir wurden Meilenweit gehört und sind beinahe berühmt geworden.
Moni wurde nach der Schulzeit auf dem Schiff ein gesundes, hellwaches Kind.

Kätchen
Unsere Nonne, Schwester Casjana hat uns viel gelernt. Sie war gut, aber sehr streng. Neben mir in der Schule sass Kätchen. Sie war immer still und konnte nicht lachen. Ihre Mutter starb als Kätchen ein Jahr alt war. Sie hatte drei größere Brüder und ein neugeborenes Geschwisterchen. Eine Frau, die nur einen Sohn hatte nahm das Baby zu sich. Kätchen kam zu einer älteren Verwandten, die im ganzen Dorf wie eine beinahe Heilige angesehen war. Kätchen hatte ein Hüftleiden und konnte schlecht laufen. Sie ist Schneiderin geworden, sogar eine gute.
 
Nach 30 Jahren habe ich sie einmal besucht, als ich zufällig im Dorf war. Sie hat mich ganz fremd angesehen und sagte, "Das darf ja nicht wahr sein, dass zu mir jemand kommt. Mit dir kann ich reden." Sie fing an, "Die Böse, die behauptete, dass sie sich für mich beinahe umgebracht hätte, kam morgens beim ersten Glockenschlag in mein Zimmer und nahm das Federbett weg. "Raus beten", war mein Morgengruss. Manchmal ging's nicht schnell genug bis ich auf dem Boden kniete und betete, dann schrie sie, dich holt der Teufel noch. Bis ich fertig war für Kirche und Schule habe ich den 'frommen' Spruch zehnmal und öfter gehört. Jeden Tag musste ich schwören, dass ich niemand sage, dass der Teufel hinter mir wäre. Ich habe Wort gehalten bis ich verheiratet war. Mein Mann sagte oft, etwas lustiger könnte ich schon sein. Ich habe dann alles erzählt. Er hat gelacht und sagte, vergesse den Quatsch. Wenn der Teufel kommt, schicke ich ihn zum Teufel. Vielleicht begegnet er der Base und lässt sie wissen, dass du eine Familie hast und glücklich bist, da wird sie sich freuen, die Furie."
Plötzlich fing meine Freundin an zu weinen. Ich fragte sie warum sie weine. "Du hast es sicher vergessen," sagte sie, "mir war's die schönste Erinnerung. Wir hatten zwei Stunden schulfrei. Alle rannten zu ihrer Oma, Mama oder sonst wohin. Wir standen als letzte im Schulhof. Du sagtest komm' mit mir und los ging's. Deine Mama sass in der Küche und du bist ihr auf den Schoss geturnt. Ich stand an der Türe. Deine Mama sagte, komm' her Kätchen bei mir ist auch für zwei Platz. Das habe ich nie vergessen. Wenn ich daran dachte fühlte ich die Arme deiner Mama, die mich so richtig lieb drückten." Sie sagte weiter, "So und jetzt ist mir wohler, weil ich alles sagen konnte, was mich bedrückte vom ersten Tag an als mich die Base mit nahm in ihr Haus, in dem sie mich dem Teufel vorwarf. Sie ging in die Kirche und sang so laut, dass man sonst niemand hörte. Mit gesenktem Haupt stand sie am Altar und ihr Gebet war sicher die Worte, "Der Teufel hol' sie, sie macht mir nur Arbeit."
Wir haben uns viel erzählt über Sachen, die wir früher nicht verstanden hatten. Ihre drei Kinder kamen von der Schule heim. In den Kinderaugen war ein Leuchten, als sie sahen, dass sich auch ihre Mama freute. Beim Abschied wünschten wir uns gegenseitig für die Tage die wir noch zu leben haben alles Liebe und Gute und, dass das Schöne das wir jetzt haben, uns allen alten Schmerz vergessen lässt. Mein Kätchen starb zwei Jahre später. Von ihrem Mann und den drei Kindern betrauert als die beste Mutter der Welt.

Klärchen
Die Hebamme im Dorf "Bas Babet" genannt, war das Luder, die glaubte, dass sie alles bestimmen dürfte. Sie rannte jeden Morgen in die Kirche und zur Kommunion, dabei hatte sie den Kopf beinahe auf der Schulter liegen. Ich habe mich gewundert, warum sie das tat und fragte meine Mama. Mama antwortete mir "Die muss man in Ruhe lassen. Die ist scheinheilig."
 
Meine Schulkameradin Klärchen war oft krank und schwach. Wenn sie in der Kirche war hatte sie keine Kraft zum knien, auch nicht während der Wandlung. Eines Tages als wir am Schluss der Messe zum Ausgang gingen, stand Bas Babet da, als Klärchen vorbei gehen wollte. Sie schlug Klärchen in's Gesicht und schrie, "Du weisst sicher nicht, dass man bei der Wandlung knien muss?" Ich war nur ein Schritt hinter Klärchen und rief, "Lass sie in Ruhe, du bist doch nur scheinheilig." So schnell sie konnte rannte Bas Babet in Richtung Weihersteg und ich hinterher. Sie fand Mama in unserem Haus, fasste sie am Arm und sagte ihr gerade, was ich zu ihr in der Kirche gesagt hatte. Mama machte ihr liebstes Gesicht und gab es laut zu hören, "Das habe ich ihr gesagt." Von dem Tag an begrüsste uns Bas Babet nicht mehr. Mama's Bruder Julius war mit Bas Babet' s Schwester Liset verheiratet. Sie war meine liebste Tante. Vielleicht hatte sie sich heimlich über Mama's und meine Ehrlichkeit gefreut.
 
Weihersteg
Die Nummer 98 7/8 am Weihersteg war ein extra Spass, weil die Gemeindeverwaltung gar nicht vorgesehen hatte das Gartengelände so schön am Erlenbach entlang zu bebauen. Unser Haus war das letzte am Bach. Dann kam was unserem Strässle seinen Namen gab der "Weihersteg". Es war ein Brückchen ungefähr vier bis fünf Meter lang und drei Meter breit. Am Weihersteg standen nur 6 Häuser. In jedem Haus lebten mehrere Kinder. Auf dem Brückchen zu spielen war ein besonderer Spass und ein paar Kinder sind auch in's Bächle gefallen. Gut, dass das Brückchen niedrig war und das Wasser nicht tief. Ich gehörte zu den kleinsten Kindern in unserer Straße, aber ich bin trotzdem auf jeden Baum geklettert und habe jeden Tag etwas zerrissen. Jedes Haus im ganzen Dorf wollte ich von innen sehen. Bei manchen hat es Schwierigkeiten gemacht, aber bei den meisten Spass. Wenn ich nach Hause kam fragte mich meine Mama, " Wo hast du heute Besuch gemacht, du kleiner Dorfbesen?"
Im Dorf waren viele miteinander verwandt. Es war der Witz des Dorfes, dass in jedem 3. Haus eine Familie mit dem Namen Kuhn wohnte. Das waren viele bei einer Einwohnerschaft von 1800.
Meine liebste Freundin war Anna Geiger. Wir waren zweimal miteinander verwandt. Ihre Mutter war eine Cousine von meinem Vater und ihr Vater ein Cousin.
Ihre Mutter war krank und starb früh. Vier Buben und drei Mädchen mussten mit einem strengen Vater leben. Drei Buben sind im 2. Weltkrieg gefallen. Der Älteste hatte einen Arm verloren. Julius war der Jüngste. Er und mein Bruder Ernst waren die besten Freunde. Wenn sie es drehen konnten haben sie sogar zusammen geschlafen. Meine Mama gönnte ihnen oft diese Freude. Anna Geiger ist schon über 50 Jahre Nonne in einem Kloster in München. Die Nonnen in diesem Kloster behüten heimatlose Mädchen.
Ich bin mit Anna noch in Verbindung und wir freuen uns immer wieder, wenn wir am Telefon mit einander sprechen können. Wir erinnern uns an die Zeit als wir Kinder auf unserem schönen Weihersteg herumtollten.
Gegenüber von uns wohnte Rudolf. Er war von Geburt an gelähmt. Seine Mutter stellte, wenn das Wetter gut war, seinen Fahrstuhl auf die Straße. Dann trug sie ihn huckepack heraus. Er war der freundlichste Mensch im Dorf. Jedem hat er entgegen gelacht und mit jedem ein kleines Schwätzchen gehalten. Er wusste von allen Freuden und allem Kummer. Für alle hatte er ein liebes Wort. Seine Eltern pflegten und versorgten ihn mit sehr viel Liebe. Zweimal am Tag gab's eine Pfeife zum rauchen. Die Mutter brachte sie schon gestopft heraus und er zündete das Streichholz an. Mit seinen verbogenen steifen Fingern hatte er oft lange und schwer zu arbeiten. Wenn es geklappt hat rief er laut, "Sie brennt." Seine Augen strahlten. Er hatte noch einen jüngeren Bruder, der ihm immer helfen wollte. Er grinste nur und sagte, "Hermann, vielleicht morgen. Heute hat's Feuer bei mir gefangen, gelt gut? Morgen bist du dran." Sein Vater fuhr ihn jeden Sonntag in die Kirche. Er schob ihn ganz vor bis zum Altar und blieb bei ihm stehen bis das letzte Lied gesungen war. Anschließend gingen sie, wie jeden Sonntag, zur Männerrunde in die Gaststätte. Jeder trank ein Glas Wein, auch Rudolf. Er war ein hilfloser Mensch, aber einer der glücklichsten, von allen angenommen und beachtet trotz seiner Leiden und seiner Hilflosigkeit.
 
Der Garten
Ursel, hier soll es weiter gehen. Es wird ein Durcheinander sein, weil ich nicht weiss, was wann war. Du bringst sicher Ordnung in den Laden, gelt Große. Wenn etwas auf dem Kopf steht, dreh es um.
Ich weiss noch während den schlechten Kriegsjahren fehlte es an vielem. Gott sei Dank, wir hatten ein kleines Haus und einen großen Garten.
Der Garten war beinahe so lange, wie der ganze Weihersteg. Auf einer Straßenseite waren fünf Häuser. Sie waren so eng aneinander gebaut, dass kaum ein Sonnenstrahl durch kam. Unser Garten war von der Sonne verwöhnt. Hinter unserem Hause floss auf der ganzen Länge der Erlenbach. In vielen Windungen und Schleifen hatte er sich sein Bett gegraben und plätscherte durch die Gegend dem Rhein entgegen. So eine Schleife hatte er bei uns im Gelände gemacht. Das war Mama's Lieblingsplätzle. Hecken, Sträucher, Bäume wuchsen da ungestört durcheinander. Es hat immer etwas geblüht. Ja, das Stückchen Erlenbach, das durch unseren Garten floss war das reinste Paradies. Mama freute sich, weil sie immer morgens vom Vogelgesang geweckt wurde. Sie kannte alle ihre Lieder. Bei diesem Vogelkonzert von lauter Jubel und Lebensfreude, da könnten alle Musiker und Sänger von heute einpacken. Wenn ein Vogel im Frühkonzert nicht mit trillerte hatte sie schon Angst, eine Katze oder ein Wiesel könnte ihn erwischt haben. Sie ging ihn suchen und wenn sie ihn fand, meldete er sich ganz frech. "Da sitz' ich, da sitz' ich." Mama sagte, er hätte sogar dazu gelacht. Ob das ein Spaßvogel war? Oft hat Papa die Baumstämme mit Stacheldraht umwickelt, damit keine Katzen an die Nestchen kamen. Mama sagte, dass gute Katzen Mäuse fangen sollen und nicht Vögel.
Eines Tages kamen zwei Amtmänner. Sie sagten der Bach wird begradig. Dadurch gäbe es mehr Ackerland. Viele Leute haben ohne Erfolg dagegen gekämpft. Mama war entsetzt, denn manche Vogelart wurde vertrieben. Papa hat auf dem Stück, das aufgefüllt wurde Hecken, Bäume und Sträucher angepflanzt. Das war mein erstes Erlebnis mit der Umweltzerstörung. Mama weinte. Das machte uns alle sehr traurig. Jetzt hatten wir nur noch einen Garten in dem alles wuchs und der viel Arbeit machte. Das Plätzel am Bach, das nur zum Freuen da gewesen war fehlte. Ob die Vögel wieder kamen weiss ich nicht. Das war ein Ereignis an das ich immer wieder denke. Kleine Sachen, aber wichtig, wie alles das lebt.
Alles ging weiter. Im Frühling wurde gepflanzt. Die Ernten waren so üppig und weiterhin kamen die Nachbarsfrauen und riefen, "Pauline, ich hol' mir einen Salat oder eine Gurke oder was sie auch immer brauchten für's Mittagessen. Mama freute sich über alles, was es da zu ernten gab. Dafür schickten die Nachbarn ihre Buben zum gießen, umgraben oder andere Arbeiten verrichten. Alle Weiherstegler halfen sich gegenseitig. Dafür waren wir im ganzen Dorf bekannt. Mama sagte oft, dass die zwei B's ihre große Hilfe seien, ohne sie käme sie nicht zurecht, die Buben und der Bach. Im Herbst wurde der Garten abgeerntet und umgeschoren für's nächste Jahr. Nach dem letzten Spatenstich lud Mama alle ein zu Kaffee und Kuchen. Das war immer ein schönes kleines Festel. Unser Gässle war für uns alle eine gute Heimat. Oft gab Mama einen Korb voll Gemüse oder Obst an Familien mit viel Kindern, die immer mehr Hunger hatten, als ihre Mütter herschaffen konnten.
Papa hat überall junge Pflanzen gesammelt. Solange mein Opa noch lebte, haben mein Papa und Opa im Garten zusammen gewirkt. Papa kannte viele Leute Rhein aufwärts und abwärts, die in ihren Gärten und Feldern arbeiteten. Wenn er eine neue Obstsorte sah, hat er bei nächster Gelegenheit ein Bäumchen oder Zweige gebracht, das er dann selbst aufpfrofte. Auch hatte er für alle Gärtner ein freundliches Wort und einen guten Rat.
Wenn wir vor Anker lagen ging's an's Land. Irgend etwas hat Papa immer gefunden. An einem schönen Abend hat er uns durch Felder geführt. Rechts und links am Weg wuchs Spitzwegerich, Körbe voll. Er zog sein Schiffernetz aus der Tasche und zeigte uns, dass wir nur die ganz grünen Blätter aus der Mitte der Pflanze abbrechen sollten und in's Netz tun. Als das Netz voll war, lieh sich Papa einen Sack. Wir ernteten so lange es hell genug war. Am nächsten Morgen wurde alles durchsucht, damit kein Unkraut dabei war. Dann wurde der Spitzwegerich gewaschen und durch die Fruchtpresse gedrückt. Mit einem Liter Saft wurde ein Pfund Honig vermischt und zusammen gekocht und in Flaschen gefüllt. Das war der beste Hustensaft. Wer ihn nötig hatte wurde versorgt. Papa's Tante Emma, die Schwester von meinem Opa, lag schon wochenlang unheilbar krank mit einer Lungenverschleimung im Bett. Papa nahm eine Flasche zu ihr. Er verordnete alle zwei Stunden einen Löffel voll. Nach drei Tagen konnte sie schon ein bisschen besser atmen. Als er sie besuchte war ihr erstes Wort, "Manuel, du bist der beste Doktor."
Von unserem Garten hatten wir Körbe voll Obst. Soviel konnten wir gar nicht verbrauchen. Mama sagte, "Sind bei euch in der Schule Kinder, die keine Obstbäume haben? Ihr könnt sie alle für Sonntagmittag einladen. Sie können zum Obstessen kommen, damit nichts verdirbt." Ernst und ich haben eingeladen. Die Kinder kamen aus allen Straßen und Gassen. Es gab Äpfel, Birnen, Pfirsiche, Mirabellen und Pflaumen. Wenn das große Fest vorbei war sagte Mama zu jedem Kind, "Du warst lieb und brav, komme nächstes Jahr wieder."
Einmal stand Papa dabei und hat sich mitgefreut. Er nahm Mama in den Arm und sagte, "So gut wie bei der lustigen Gesellschaft hat mir noch kein Apfel geschmeckt." Es gab viel Arbeit, aber auch Zufriedenheit und Freude. Unser Garten war ein Geschenk Gottes.
 
Heinz
Während einem Bummel auf der Kaiserstraße in Karlsruhe sind eine Freundin und ich einem Bekannten von Leimersheim begegnet. Er stellte uns einen jungen Mann vor. Seine Name war Heinz. Wir haben erzählt, als wir die Kaiserstraße abträppelten.( Karlsruhe ist eine größere Stadt in der Nähe von Landau. Sie liegt auf der anderen Seite des Rheines. Leute fuhren damals mit dem Zug nach Karlsruhe zum Einkaufen.) Als Heinz erfuhr, dass mein Vater Schiffer war, lachte er und sagte, "Da passen wir gut zusammen, denn ich bin auch bei der Schifffahrt beschäftigt. Ich-weiß im Südhafen liegt der Raab- 36 (das Schiff meines Vaters). Morgen wird es ausgeladen. Prompt stand am nächsten Tag um die Mittagszeit mein neuer Bekannter auf dem Laufweg und sagte, "Guten Tag". Papa kam dazu und grüßte zurück, wie zu einem guten Bekannten. Dann fragte er, ob er eine Tasse Tee mit ihm trinken würde. Vor 24-Stunden hatte ich den Mensch zum ersten mal gesehen. Jetzt sass er bei uns am Tisch. Mit keinem Gedanken habe ich ihn fürs ganze Leben dort sitzen sehen. Papa gefiel er gut. Stundenlang redeten sie miteinander. Sie lobten den Rhein von Basel bis Rotterdam als den schönsten Fluss. Da hatten sich zwei gefunden, die sich gut verstanden. Er kam oft zu uns an Bord.
Heinz hat auch mir sofort gefallen, obwohl er Knickerbocker trug, die damals modern waren und mir überhaupt nicht gefielen. Bald sprach Heinz vom Heiraten. Ich war 20 Jahre alt und kam mir noch wie ein Schulmädchen vor. Ich lachte ihn aus und sagte, dass er in 5 Jahren wieder fragen solle. Er war ein bisschen beleidigt, sagte aber, dass er warten könne. Also warteten wir.
Heinz sprach oft vom Heiraten. Er wolle eine Familie hörte ich, wenn wir uns sahen. Ehrlich gesagt, ich' auch. Wir waren in der Zwischenzeit nach Landau gezogen. Meine Schwestern waren schon verheiratet und die ersten Kinderlein waren schon da. Lisbeth hatte eine Tochter Josi und einen Sohn Franz. Monika hatte eine Tochter Marlis. Wenn ich zurück denke gehörten die Kinder Papa, Mama und mir, denn die Mütter der Kinder waren berufstätig. Mit Papa gingen wir spazieren. Er wusste viel über Felder, Wälder, Vögel, Käfer, Pilze,usw. Es war eine köstliche Zeit für die Kinder und uns alle.
Die 5 Jahre gingen dem Ende zu. Aber in den 5 Jahren hatte sich die Welt verändert. Als wir unsere Hochzeit planten begann der 2. Weltkrieg. Die Hochzeit war vorbereitet. Papa ging zum Bahnhof den Bräutigam abzuholen und kam alleine zurück. Der Postbote brachte ein Telegramm auf dem stand, " Hochzeit auf später verschieben. Muss einrücken." Wir planten unsere Hochzeit viermal. Endlich beim vierten Versuch hatten wir Erfolg und sagten beide unser "Ja."
Heinz erzählte mir später, dass er am ersten Tag schon wusste, dass er mich heiraten würde. Es war Liebe auf den ersten Blick.
 
Landau
Papa musste sich pensionieren lassen, denn sein Astma, das er von Russland heim gebracht hatte wurde immer schlimmer. Er musste in der Nähe eines Krankenhauses wohnen. Da es keines in Leimersheim gab, mussten sich Mama und Papa schweren Herzens von ihrem Haus und Garten trennen. Als das letzte Stück aus dem Haus getragen wurde und aufgeladen war stand er im Garten. Er legte beide Arme um einen Baum und weinte. Meinen Papa weinen zu sehen, war für mich wie ein Weltuntergang. Nie werde ich das vergessen. Auch für Mama war das eine schwere Zeit. Wir zogen nach Landau. Landau ist eine Kleinstadt von vielen noch kleineren Dörfern umgeben. Aber es war nicht unser Weihersteg mit den lieben Nachbarn und dem Erlenbach. Auch jetzt fliesst der kleine Bach immer noch weiter dem Rhein zu.
Papa war bald in der Nachbarschaft bekannt. Sein Arzt hat ihn eingeladen zum alten Herrenstammtisch beim Hotel neben an. Er war ein guter Erzähler. Auf den Seebooten, die er in Holland besuchte, egal aus welcher Ecke der Welt sie kamen, fand er immer einen Gesprächspartner, mit dem er sich verständigen konnte. Er wollte alles wissen, was in jedem Land produziert wurde, wie die Menschen lebten und ob sie gut zu einander waren. Mein Papa konnte sich alles merken. Er versuchte nicht an seine Krankheit zu denken. Das Schwere im Leben vergessen zu können, das ist das Beste.
Aber die Zeiten wurden schlechter und schlimmer. Der zweite Weltkrieg stand bevor. Papa war wie beim ersten Weltkrieg gegen den, der ihn auf dem Gewissen hatte. Er sagte, "Ich grabe ein tiefes Loch und schmeiß den Kerl hinein. Mit was ich ihn zudecke erfährt niemand." Es gab kein Loch. Es gab Morden, Leiden und Sterben. Millionen Menschen wurden geopfert.
An guten Tagen setzte Papa seine Wanderungen fort. Er kannte jeden Feldweg. Eines Tages fand er eine Frau weinend bei ihrem Wagen stehen. Die Deichsel an ihrem Wagen war abgebrochen und sie war ganz alleine. Er sagte, "Ich weiss noch nicht wie, aber ich werde ihnen helfen." Er ging von Acker zu Acker und wo eine Frau war erzählte er die Geschichte. Die Frauen waren alle alleine, denn die Männern mussten alle in den Krieg. Die Frauen halfen. Sie warfen die Hälfte der Rüben vom Wagen, damit sie den Wagen wieder auf den Weg stellen konnten und schoben ihn ins Dorf Papa sagte, "Also dann bis morgen. Ich hoffe, dass ich ihn zusammenflicken kann." Die Frauen waren froh. Eine sagte, "Wir danken ihnen, aber wir wüssten gerne ihren Namen." Mit seinem schönsten Grinsen sagte er, "Ihr könnt alle Opa zu mir sagen." Der Tag war zu Ende. Alle strahlten vor Freude, Papa am meisten.
Nach einigen Tagen ging ich durch unseren Hof. Eine Frau kam herein. Ich fragte sie, ob sie jemand suche. Sie sagte, dass sie Opa suche. Papa kam die Treppe herunter. Er stand da und wartete bis er wusste, wo etwas kaputt war. Eswar eine Halterung an der Stalltür. Sie konnte die Türe nicht mehr zu machen. Papa half ihr. Handwerklich war er einmalig. Was er in die Hand nahm, musste wieder funktionieren, bevor er es hinlegte. Schwere Sachen konnte er nicht heben, da mussten die Frauen selbst dran. Er erklärte ihnen jeden Handgriff und sie verstanden schnell.
Die Frauen kannten sich alle gegenseitig, denn sie waren alle mit Feld und Vieh, Haus und Hof und den lieben-Kinderchen alleine. Jetzt hatten- sie plötzlich einen Opa, der immer wusste, wie man die kleinen oder auch die größeren Schäden zusammen flickt. Alle waren froh und zufrieden. Der glücklichste war Opa selbst. Er wurde noch immer gebraucht. Wenn er auch keine Kraft mehr hatte, was er sich im Laufe seines Lebens an Wissen und Können als Schiffer angeeignet hatte, konnte er jetzt weitergeben an die überforderten Frauen.
In unserer Familie hatte sich auch vieles geändert. Wir Mädchen waren alle verheiratet. Lisbeth hatte drei Kinder Josi, Franz und Hermann, Moni-eine lebhafte Tochter Marlis. Ich erwartete mein erstes Kind: Papa führte mich in's Krankenhaus. Vor dem Krankenhauseingang marschierten Soldaten; Wir standen auf der anderen Straßenseite. Als es zu lang wurde und eine weitere Kompanie in Sicht war, rannte mein Väterchen mitten-hinein und sagte zum Zugführer, "Da wird jetzt bald ein Kind geboren, hoffentlich nicht auf der Straße." Der Führer streckte seinen langen Stab hoch und kommandierte, "Treten auf der Stelle." Sofort träppelten auf der anderen Straßenseite alle Männer. Sie lachten und sangen, "Früh Morgens, wenn die Hähne kräh'n, zieh'n wir zum Tor hinaus" und ich bin in's Krankenhaus gezogen.
Mein Kind hat sich 1940 mitten in der Nacht in die der Welt gestrampelt. Die Schwester brachte es für einige Augenblicke, dann schlief ich ein. Ganz früh am nächsten Morgen wartete ich auf Papa, den Frühaufsteher. Er kam lange nicht. Endlich nach 9 Uhr stand er da und lachte mich an. Ich konnte es nicht verstehen, dass er sich so ruhig verhielt. Ich fragte, "Warum kommst du so spät?" Er antwortete "Ich bin zur Post und habe deinem Mann ein Telegram geschickt, dann bin ich zum Standesamt und habe unser Kind angemeldet." Ich rief ganz entsetzt, "Was hast du, du weisst ja nicht wie sie heissen soll!" Soll, nein," sagte er, "du weisst nicht, wie sie heisst. Sie ist unsere Ursula, ein schöner Name, gelt?" Dann kamen Mama und Lisbeth mit ihrem Kindern Josi, Franz und Hermännel. Hermännel war sieben Monate alt. Er hat seine Ursel von der ersten Stunde an geliebt. Er und Ursel waren wie Zwillinge.
Papa war fünfmal Opa. Ich erwartete sein 6. Enkelkind. Er sagte, "Das Kind sehe ich nicht mehr". Er fühlte, dass es zu Ende ging. Mama gab ihm Tee, da er immer durstig war. Er sagte, "Bleib bei mir, es war immer so schön bei dir zu sein. Sei unseren Kindern eine gute Mutter besonders behalte Ernst und Dieter meine einzigen Weschler-Familiennamenträger im Auge. Er dachte an alle. Dann sagte er zu Mama, "Jetzt ist nichts mehr zu ordnen. Du bist bei mir und ich bei dir in alle Ewigkeit." Sie hielten sich bei den Händen. So starb er im März 1944 mit Gott, uns allen und sich selbst zufrieden.
Am 12. November 1944 kam mein zweites Kind Edeltraud auf die Welt. Mama lebte noch 16 Jahre ruhig bei Lisbeth, die berufstätig war. Mama sorgte für die Kinder. Ernst und seine Liesel haben einen Sohn und 3 Mädchen. Monis einziges Kind Marlis verunglückte mit 18 Jahren. Ich bin die letzte von unserer Familie vom Weihersteg und das mit 92 Jahren.
Maria Förster, geb. Weschler, starb am 20.Dezember 2007 in Kaiserslautern im Alter von 94 Jahren.

Edeltraud Kidd  (Tochter von Maria Förster, geb. Weschler) stellte die Lebenserinnerungen ihrer Mutter zur Verfügung.
Eingestellt von Emil Weschler

Verwandtschaft

Tochter von: Weschler Emanuel

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