Wagner

Dieser Handwerker war auf dem Lande eng mit der Bauernschaft verbunden, denn vor allem die Bauern waren seine Kunden. Am Anfang der Landwirtschaft machten die Männer ihre Arbeitsgeräte für den Ackerbau meistens selbst. Nur der Bau der Wagen war den erfahrenen Spezialisten, den Wagnern, überlassen. Der Wagenbau ist sehr alt. Er reicht in die Frühzeit der Menschen zurück. Damals war es schon für die ersten Menschen ein dringendes Bedürfnis, sich mit ihrer geringen Habe schnell fortbewegen zu können. Sie waren noch nicht seßhaft und befanden sich daher ständig auf der Wanderschaft. Es ist anzunehmen, daß unsere Vorfahren zuerst ihre Güter so transportierten, wie wir es von den Indianern kennen, nämlich auf zwei Holzstangen gepackt, die von einem Menschen oder einem Tier über den Boden geschleift wurden. Dann bediente man sich der Rollen oder der Scheibenräder, bis dann das Speichen­rad erfunden worden ist. Es war ein gewaltiger Fortschritt in der Menschheitsgeschichte. Doch von nun an bedurfte es besonderer Fähigkeiten, um solche Räder fachgerecht bauen zu kön­nen. Diese Kenntnisse erwarb sich der Wagner, der dann mit dem Schmied zusammen ein-oder mehrachsige Wagen hergestellt hat. Viele Jahrhunderte waren die Wagen aus Holz das einzige Transportmittel auf dem Lande, wenn man vom Menschen oder den Lasttieren ab­sieht. Selbst im Zeitalter des Autos heißt ein Fahrzeug, mit dem Lasten transportiert werden, Lastwagen. Es gab in der Vergangenheit viele Arten von Wagen bis hin zur Kutsche, je nach dem Zweck, für den sie genutzt werden sollten. Im Dorf stand früher in jedem Anwesen, wenn die Familie ein Pferd oder eine Kuh besaß, auch ein Bauernwagen.
All diese Wagen fertigte der Wagner an und reparierte sie auch. Dazu hatte er eine Werkstatt, die allerdings nicht überreichlich mit Werkzeugen ausgestattet sein mußte. Darin stand übli­cherweise eine einfache Werkbank und eine Schnitzbank, auf der man sitzen konnte und das zu schnitzende Holz mit einem Hebel, der mit dem Fuß zu bedienen war, einklemmen konn­te. Dazu wurde außerdem noch ein Radstock zum Bau der Räder benötigt. Weiter gab es in der Wagnerwerkstatt noch Sägen, Stecheisen, Hämmer, Hobel u. a. m.
Der Bauernwagen hatte in der Regel zwei Ausrüstungen. Das Jahr über hatten die zwei Achsen einen Kastenaufsatz. In der Erntezeit wurden die Seitenborde abgenommen und dafür weit auskragende Wangen aufgesetzt, die Leitern glichen, womit er dann zum „Leiterwagen" wurde. Am Ende dieser Wangen war eine Walze durchgesteckt, mit der die Seile des Heu­baums festgezurrt wurden. Der ganze Stolz des Wagners war der exakte Bau eines Rades, was sehr viel handwerkliches Geschick erforderte. Das hölzerne Rad bestand aus der Nabe, den Speichen und der Felge. Das Holz der Nabe mußte frei sein von Asten, Splinten und Rissen. Die Speichen wurden stramm in die Naben und Felgenlöcher getrieben. Der Wagner mußte sehr viel wissen über das Verhalten des Wagens im Verkehr, die zulässige Beladung und den notwendigen Radstand.
Der Wagner hat nicht nur Wagen ge­baut, sondern er schnitzte auch Axtschäfte und Stiele für allerei Geräte des Bauern. Es wurden Eggen und Ackerwalzen und vieles andere mehr hergestellt. Der „Schallkarch", ein einrädriger Schubkarren, wurde eben­falls vom Wagner gemacht. Auch Leitern aller Art entstanden in seiner Werkstatt. Dieser Handwerker arbei­tete ausschließlich mit einheimischem Holz und vor allem mit trockenen Harthölzern. Das Aufziehen der Reifen und die sonstigen Beschläge überließ er dem Schmied.
Bis in die zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts betrieb der Wagner Karl Marthaler in der Hauptstraße 39 sein Handwerk. Die Familie war als „'s Wachners" im Dorf bekannt, seine Kinder erhielten auch diesen Beinamen, so die Töchter „Wachnerberta" und „Wachnermina" und der Sohn „Wachnerfritz", der 1924 nach Amerika auswanderte, und dessen Brüder hießen „Wachnerhermann" und „Wachnerrobert".
Die zunehmende Mechanisierung und Motorisierung der Landwirtschaft veränderte auch die Fahrzeuge der Bauern, die jetzt vornehmlich aus Eisen und Blech bestanden. Für den Wagner blieb hieran nicht mehr viel zu tun. Das gilt auch für alle anderen jetzt gebräuchlichen Geräte in der Landwirtschaft. Der Wagner wurde plötzlich nicht mehr gebraucht. Zuletzt haben Eugen Wolf, in der Neuen Gasse, genannt „de Wolfeneener" und Albert Bürckel in der Schloßgasse eine Wagnerei betrieben.

Quelle: Ernst Marthaler, Die Geschichte eines pfälzischen Dorfes am Rhein (2002), Seite 496-498
gla

 

Personen

Marthaler Hermann

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