Korbmacher

Bereits in der grauen Vorzeit haben die Menschen versucht, durch das Flechten biegsamer Zweige, mit Schilf und Gras sich Behältnisse zu machen, die die Aufbewahrung und den Trans­port ihrer wenigen Güter ermöglichten. Schon im Alten Testament wird der Binsenkorb er­wähnt, in dem das Kind Moses ausgesetzt worden war. Auch Reusen wurden geflochten, um darin Fische zu fangen. Die einfachen Hütten bestanden im wesentlichen aus Flechtwerk, das mit Lehm ausgefüllt und bedeckt war. Ihre Behausung umgaben sie mit einem schützenden Zaun aus Astwerk und Zweigen. In jener Zeit war jeder Mann mit diesen Arbeiten wohl ver­traut, aber besonders die Frauen verstanden gut das Flechten und Weben. Im Mittelalter ent­stand daraus der Beruf des Korbmachers, der nicht nur für den eigenen Bedarf arbeitete, son­dern seine Ware zum Kauf anbot.
Die dazu verwendeten Ruten der Weide, deren verschiedene Arten in der Rheinniederung gut gedeihen, da sie in dem feuchten Boden und an den vielen Gewässern den optimalen Standort haben, eignen sich besonders gut zum Flechten. Die wildwachsende Weide ist die typische Baumart an den Ufern der Altrheine und in der ganzen Rheinaue. Wenn sich im Spätherbst die Nebel ausbreiten, bekommen die Kopfweiden zwischen dem Schilf etwas Mysteriöses, bei deren Anblick man an Goethes "Erlkönig" erinnert wird.
Während unsere Vorfahren in alter Zeit einfach die Zweige der wildwachsenden Weiden ab­schnitten und verarbeiteten, wurden später die Korbweiden gezüchtet und ackerbaulich ange­pflanzt, vor allem auf jenen Böden, auf denen wegen der stauenden Feuchtigkeit andere Pflanzen nur schlecht gedeihen. Die Anpflanzung der Korbweide bot sich besonders in den Zeiten an, als die Entwässerung der Rheinniederung noch sehr im Argen lag. Das Leimersheimer Unterfeld war von Anfang an dafür geeignet, doch wollten einige Bauern auch in ande­ren Gewannen Weiden anlegen, was allerdings durch eine ortspolizeiliche Vorschrift in den 50er Jahren verboten wurde. Es hätte sich ungünstig auf die Nachbargrundstücke ausgewirkt. Neben den Korbweiden wurden die jungen Schößlinge auch als Wingertweiden, bei uns hie­ßen sie "Biegweiden", geschnitten und an die Winzer an der Haardt verkauft, die dafür gut be­zahlten, weil sie die biegsame Weide haben mußten, um damit alljährlich die Reben neu anzu­binden. Heute hat die Schnur aus Kunststoff die Biegweide verdrängt.

Wenn im Herbst die Ruten der Kulturweiden auf den Äckern entlaubt sind, leuchten deren Ruten in vielen Gelb- und Rottönen und tauchen die Rheinaue in ein farbenprächtiges Bild. Das Pflanzen der Weidenstöcklinge war eine harte Männerarbeit. Es wurden mit dem Spaten tiefe Gräben ausgehoben, in die man Stöcklinge setzte. Diese faßten schnell Wurzeln und wuchsen ohne weiteres Zutun. Nach zwei bis drei Jahren konnten schon die ersten Ruten geerntet werden. Etwa 20 Jahre lang kann alljährlich im Winter der Weidenstock geschnitten werden, erst dann ist er abgebaut. Ein Hektar brachte ca. 300 Zentner Weiden. In den Jahren nach dem ersten Weltkrieg sind dafür 1000 bis 1200 Mark bezahlt worden."
Neben den Biegweiden sind auch die Korbweiden im Winter geschnitten worden. Auch dazu benutzte man das „Säißel", ein kurzes, gebogenes, sehr scharf geschliffenes Messer. Die zu Büscheln gebundenen Gerten sind dann in die Bäche gestellt worden, damit sie nicht vorzei­tig austrockneten. Dazu hatte jeder Korbmacher ein Holzgerüst in Ufernähe ins Wasser gebaut, das verhindern sollte, daß die Bündel umfielen oder fortgeschwemmt wurden. Wenn im Frühjahr die Ruten begannen auszutreiben, wurden sie aus dem Wasser genommen und diejenigen geschält, die für die „weiße Ware" (Wäschekörbe, Einkaufskörbe, Baby-Stuben­wagen, Korbmöbel u. v. m.) verwendet werden sollten.
Einst saßen in dieser Jahreszeit Groß und Klein wochenlang am „Buben-Badeplatz" (jetzt Sankt Gertrudisstraße, gegenüber dem Sportplatz) und schälten in Lohnarbeit die Weiden. Dabei zogen sie die Ruten durch eine Gabel und lösten so die Rinde ab. In dem Bericht über die Orts­visitation am 13. Juni 1914 wird festgestellt: "... es muß dafür gesorgt werden, daß die Weiden-schäler einen günstigeren Platz angewiesen bekommen. So wie die Verhältnisse zur Zeit liegen - der Platz war durch und durch naß - dürfte er auf die Dauer ohne schwere Gesundheitsschäden der Weidenschäler kaum belassen werden können …“ In einer Eingabe der Firma Keller wird angegeben: "Die Löhne der Weidenschäler stellen einen beträchtlichen Erwerbszweig der Erwachsenen, aber vor allem der Kinder dar." Das Bezirksamt will 1913 gegen diese Kinderarbeit - es arbeiten bis zu 100 schulpflichtige Kinder beim Weidenschälen - einschreiten. Dagegen beantragt der Korbfabrikant, diese Arbeit zur Landwirtschaft zu zählen oder wie 1904 eine Ausnahmege­nehmigung zu geben. Beides lehnt die Behörde für die Kinder unter 12 Jahren ab.
 
Die für die "Grauwaren", also die Kartoffelkörbe und ähnliche Waren, bestimmten Ruten wurden ebenfalls ins Wasser gestellt. Sie mußten aber nicht geschält werden. Unter den geschickten Händen der Korbmacher wurden aus den Ruten dann die "grooe Kerb", wie man bei uns sagt. Zunächst wird das Kreuz des Korbbodens gebunden und die Bodenruten eingeflochten. Dann werden die weite­ren Ruten sternförmig nach oben ausstrahlend in die Bodenkante eingesteckt. Man nennt sie die "Aufrechten". Danach werden, unter fortwähren­dem Drehen des Korbes auf der Bank, um das Spitzeisen herum etwas weniger starke Weiden in dieses Gerippe eingeflochten. Fertig ist der Korb, wenn der Henkel oder der Griff, wir sagen: die "Hab", angebracht ist.

Die einfachen Graukörbe konnte früher jeder Landwirt für seinen Bedarf selbst anfertigen. Weißware und Korbmöbel blieben aber dem gelernten Korbmacher vorbehalten. Dieser arbei­tete am liebsten auf einer Bank sitzend. Dann konnte er sein Werkzeug griffbereit nebenan legen: das Zurichtmesser, das Schlageisen, den Priem, die Zwinge, die Rebschere und viel­leicht noch eine kleine Handsäge. Maschinen hatte der Korbmacher nicht nötig.

Obwohl es seit 1895 in Leimersheim eine Korbfabrik gab, wurde Leimersheim - im Gegensatz zum Nachbardorf Neupotz - kein Korbmacherdorf. Ein damals 57 Jahre alter Korbmacher aus unserem Dorf hat 1927 seine Verhältnisse so geschildert: "Ich arbeite für die Fabrik im Dorf, von wo ich auch die Weiden beziehe. Diese werden gewogen und mit dem Lohn verrechnet. Ich bringe in einer Woche bei 63 Arbeitsstunden 25 Toska-Körbe zuwege. Dafür erhalte ich 36 Mark. Für Material werden mir 14 Mark angerechnet. Als Wochenlohn bleiben mir 22 Mark, das ergibt einen Stundenlohn von 35 Pfennig. Mein 21-jähriger Sohn macht graue Körbe und verdient 21 Pfennig in der Stunde. Die Werkstatt ist gleichzeitig die Schlafstube …" In Leimersheim und Neupfotz gab es seit 1879 Betriebe der Korbflechterei. Damals verdiente ein Korbmacher am Tage 1,50 Mark. Bis 1914 war der Tagesverdienst auf 5 Mark gestiegen.
Im April 1878 suchte der Regierungspräsident einen tüchtigen Wanderlehrer, der imstande ist, in den Dörfern Unterricht im Korbflechten zu geben. Einige junge Burschen aus unserem Dorf nahmen an den Kursen teil. Auch 1922 wurde ein solcher Kurs vom bay. Kultusministerium organisiert und in Leimersheim abgehalten.

Der seinerzeitige Gemeindeschreiber Karl Keller, der vormals bei dem Neupotzer Korbwaren-fabrikant Heid im Geschäft war, gründete 1895 in Leimersheim eine eigene Fabrik für Korb­waren in der Mühlgasse. Darin arbeiteten mehrere Korbmacher aus Neupotz und auch aus unserem Dorf. Einige Heimarbeiter lieferten ihre Produkte an die Firma Keller. 1922 gab es in Leimersheim 24 selbständige Korbmacher, 1926 nur noch 10, davon gehörten 6 zu einer Liefergenossenschaft. In unserem Dorf gibt es heute keine berufsmäßigen Korbmacher mehr, nur einige Rentner nutzen ihr Können noch als Hobby. Einer der Letzten dieses Handwerks war der Rentner Josef Kuhn aus der Neuen Gasse, der zuletzt in dem Betrieb von Franz Heid in der Mühlgasse Korbwaren geflochten hat.

Quelle: Ernst Marthaler, Leimersheim - Die Geschichte eines pfälzischen Dorfes am Rhein (2002) Seiten 480 - 482
gla

 

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